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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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für Kaiser Napoléon III. und seine Gemahlin Eugénie weitere Unsummen des längst überschrittenen Budgets verschlangen. So konnte Garnier sich diesen Prunk sparen, ließ den Teil der Oper schlicht und roh. Man konnte ihn schließlich immer noch ausbauen, sollte dereinst wieder ein König oder Kaiser in Frankreich regieren.
    Bram ging weiter, doch dann blieb er unvermittelt stehen. Er hatte plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Der Blick prickelte unangenehm in seinem Nacken. Ein Vampir, war sein erster Gedanke, aber schon im nächsten Augenblick musste er über sich selbst lachen. Ein Vampir? Am helllichten Tag? Vielleicht sollte er sich Gedanken über den Zustand seines Geistes machen. Bram wollte seinen Weg fortsetzen, das Gefühl war jedoch so stark, dass er sich umdrehte. Wer sonst außer einem Vampir hatte die Macht eines solchen Blickes? Das Phantom? Für einen Moment setzte sein Herzschlag aus, nur um danach noch viel rascher zu schlagen. Seine Augen huschten umher. Es waren viele Menschen unterwegs, die den sonnigen Tag nutzten, doch keiner schenkte dem Besucher aus Irland Beachtung. Außer einem schlanken Mann mit etwas dunklerer Hautfarbe und ergrautem Haar, das ehemals schwarz gewesen sein musste. Die dunklen Augen waren starr auf Bram gerichtet. Also, wenn das das Phantom
sein sollte, dann waren die Geschichten, die man sich erzählte, reine Ammenmärchen! Der Mann hatte durchaus einnehmende Züge. Von einem Totenschädel keine Spur. Und bis auf den seltsam durchdringenden Blick - hatte er auch nur einmal gezwinkert? - schien er weder magische Kräfte zu besitzen noch besonders Furcht einflößend zu sein. Bram stieß ein nervöses Lachen aus. Nein, wie albern. Das war ganz gewiss nicht das Phantom. Dennoch wollte er wissen, warum der Fremde ihn noch immer musterte. Entschlossen ging er auf ihn zu.
    »Monsieur? Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    Der Fremde hob die dichten dunklen Augenbrauen. »Behilflich? Nein, warum?«
    Bram überlegte, woher er stammen konnte. Nicht nur die dunklere Hautfarbe und die Augen sprachen von einem fremden Land. Seine ganze Erscheinung strahlte etwas Exotisches aus. Zwar trug er einen unauffälligen, aber durchaus der Mode entsprechenden Anzug, sein Umhang dagegen war von ungewöhnlich kräftiger Farbe und die Kopfbedeckung musste irgendwo aus dem fernen Osten stammen. Seine Aussprache hatte einen singenden Klang.
    »Sie haben mich so intensiv betrachtet - ich will nicht beobachtet sagen -, dass mir der Gedanke kam, Sie könnten eine Frage an mich haben«, fuhr Bram fort und beobachtete genau die Reaktion des Fremden. Ein Kranz von Lachfältchen erschien um dessen Augen.
    »Beobachtet wäre aber genau das richtige Wort gewesen. Ja, ich habe mit Interesse verfolgt, wie Sie - in einen inneren Kampf verstrickt - bereits zum dritten Mal die Oper umrunden.«
    »Und seitdem folgen Sie mir?« Der Fremde nickte. Bram schämte sich fast, dass er ihn erst jetzt bemerkt hatte.
    »Ich weiß, es ist unhöflich«, fuhr der Mann fort. »Und dennoch würde ich es wieder tun.«
    »Weshalb? Warum interessieren Sie sich für mich?«
    »Weil Sie sich für das Phantom interessieren.«
    Die Antwort verblüffte Bram so sehr, dass er den Fremden eine ganze Weile nur anstarren konnte. »Woher wissen Sie das? Und wer sind Sie?«, stieß er schließlich hervor.

    Der Fremde verbeugte sich. »Verzeihen Sie, mein Name ist Nadir, und ich war einst der Daroga von Mazenderan - der Polizeichef des Schahs von Persien«, fügte er hinzu, als er den verwirrten Gesichtsausdruck seines Gegenübers gewahrte. »Heute bin ich nur noch ein einsamer, alternder Mann in der Fremde. Und Ihr Name ist Bram Stoker aus Irland, soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, Manager eines Londoner Theaters und auch Journalist?«
    Brams Verwirrung wuchs. »Ja, das stimmt. Woher wissen Sie das alles?«
    Der Perser drehte entschuldigend die Handflächen nach oben. »Ich habe meine Methoden, Erkundigungen einzuziehen. Ich hörte, dass Sie mit einer ungewöhnlichen Hartnäckigkeit Fragen über das Phantom stellen. Dahinter schien mir mehr zu stecken als nur die oberflächliche Neugier der Besucher, die von Erik erfahren.«
    »Erik?«, hakte Bram nach. »Sie kennen das Phantom persönlich?«
    »Lassen Sie uns ein paar Schritte gehen«, schlug der Perser vor. »Und dann verraten Sie mir, was Sie mit Ihrer Suche bezwecken. Was wollen Sie tun, wenn Sie das Glück oder das Pech haben, dem Phantom zu begegnen? Wollen Sie

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