Die Erben der Nacht - Pyras
unterbrach sie. »Kommt mit. Dort oben ist ein Durchbruch, von dem wir alles beobachten können.«
Die anderen folgten ihr neugierig durch den ansteigenden Gang, der in einem Bogen um die Höhle herumführte, und drängten sich dann an dem runden Loch zusammen, das den Blick nach unten
freigab. Links von ihnen, in der Nähe des nördlichen Ausgangs, sahen sie eine Gruppe von Menschen, die einen Kreis gebildet hatten und sich an den Händen hielten. Dreizehn zählte Alisa. Natürlich, was sonst. Die Anzahl war nicht dem Zufall überlassen worden. In der Mitte des Kreises stand eine rauchende Lampe, die einen seltsamen Kräuterduft verströmte. Um sich herum hatten sie mit einem weißen Pulver sorgfältig eine Linie gezogen. Die Menschen wiegten sich im Rhythmus ihres Singsangs vor und zurück.
»Na, ob dieser Bannkreis den Höllenfürst von ihren Seelen fernhalten kann?«, spottete Luciano. »Wenn ja, muss der Teufel ein armseliger Geselle sein.«
»Das ist er. Seht nur, es geht los!« Fernand deutete zum anderen Ende der Höhle, wo nun die Flammen fast bis zur Decke stießen. Der Schwefelgeruch verstärkte sich. Ein Klirren wie von schweren Ketten erklang, dann ein klägliches Meckern. Das Licht warf einen riesigen, gehörnten Schatten an die Wand. Eine der Frauen im Kreis stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
Ein schauriges Heulen kam von der anderen Seite. Der Ziegenbock zog die Kette, die rot zu glühen schien, scheppernd über den Boden und verschwand dann für einen Moment hinter einer Säule, auf deren anderer Seite nun eine Gestalt hervortrat, auf dem Kopf geschwungene Ziegenhörner, die glühende Kette über der Schulter. Ihr Körper war in ein zottiges Fell gehüllt, dessen Gestank bis zu ihrem Beobachtungsloch aufstieg. Doch Alisa drang noch etwas anderes in die Nase.
»Der Teufel riecht nach Menschenschweiß!«
Joanne grinste. »Ja, woher das wohl kommt?«
Fernand zeigte in eine Ecke, die die Menschen von unten nicht sehen konnten. »Seht ihr die Höllenhunde? Die hölzernen Trichter verstärken ihr Heulen, dass es auch recht infernalisch klingt. Die Hörner und den Pelz hat der Mann sich nur umgebunden. Und die Kette ist bestimmt nicht glühend. Sie ist mit roter Farbe bemalt.«
»Alles nur ein fauler Zauber«, fasste Luciano zusammen. »Aber was soll das Ganze? Ich hatte den Eindruck, die Menschen dort unten haben Angst, als sei der Teufel wirklich unter ihnen.«
»Die Angst der Menschen ist vermutlich das einzig Echte dort unten«, meinte Ivy. »Und ich denke, es geht um Geld, nicht wahr?«
Joanne nickte. »Ja, der mit den Hunden, der Teufelsdarsteller, und der eine im Kreis, der keine Angst ausstrahlt, sind die Veranstalter des Spektakels. Sie locken ihre Opfer mit dem Versprechen einer echten satanischen Beschwörung gegen eine ganze Menge Münzen hier herunter.«
»Na, geboten bekommen sie jedenfalls etwas für ihr Geld«, sagte Franz Leopold trocken, als die Hunde wieder schaurig zu heulen begannen und der »Teufel« Ketten schwingend hinter den Flammen tanzte, dass sein Schatten riesenhaft an die Wand geworfen wurde. Die Frau, die vorhin aufgeschrien hatte, sank mit einem Stöhnen in die Knie.
»Du darfst den Kreis nicht unterbrechen«, rief ihr Nachbar leicht panisch und umklammerte ihre Hand. Mühsam rappelte sie sich wieder auf.
»Diese Scharlatane treten in die Fußstapfen etlicher anderer, die schon seit mehr als einhundert Jahren die Menschen hier mit angeblichen Höllenerscheinungen um ihr Geld erleichtern. Der Erste war ein Monsieur César, der dieses Geschäft lange erfolgreich betrieb, bis man ihn schnappte. Er hat damals immerhin noch den Tod auf dem Scheiterhaufen riskiert, was die übliche Strafe für Teufelsanbetung und derlei war. So beeilte er sich dann auch, bei seiner Verhaftung zu versichern, dass dies nur eine Gaunerei gewesen und er keinesfalls vom rechten Glauben abgewichen sei!« Joanne grinste.
Sie sahen zu den ängstlichen Menschen hinunter und lachten leise. Da entdeckte Alisa die Vampire. Sie näherten sich aus dem Hintergrund, blieben aber stets in den Schatten von Blöcken und Säulen den Blicken der Menschen entzogen.
Auch Joanne hatte sie gesehen. »Wir nähern uns dem Ende der Vorführung.«
Die Flammen erloschen plötzlich. Der »Teufel« und sein Kumpane schrien auf. Dann hauchte auch die kleine Lampe in der Mitte des Kreises ihr Leben aus, und Finsternis hüllte die Besucher und ihre Betrüger ein, die nun allesamt verwirrt und furchtsam waren.
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