Die Erben der Nacht - Pyras
Vorderseite die Papageienvolieren angebaut waren. Dort oben hatte er die Maske befestigt. Ein Blick sagte ihm, dass sie nicht mehr da war. Malcolm fühlte, wie seine Brust ein wenig enger wurde. Was war das für ein Flattern in seinem Innern? Mit zwei großen Sprüngen hatte er die Stelle erreicht und beugte sich hinab. Er sog die Luft ein und prüfte sie sorgfältig. War dort irgendwo auch nur ein Hauch von Latona? Er kniete sich auf den Felsen und näherte sein Gesicht den Zweigen des Efeus. Nichts. Er nahm schwach die Note eines Mannes wahr, die ihm vage bekannt vorkam. Die Spur musste Tage alt sein. Malcolm sprang wieder hinunter und suchte die Gegend sorgfältig ab. Einmal glaubte er, ihren Geruch gefunden zu haben, doch er musste sich eingestehen, dass er nicht sicher war, ob ihn seine Sinne narrten. Zu viele neuere Düfte überlagerten ihn. Enttäuscht blieb Malcolm stehen. Sein Blick schweifte wieder zu der Stelle, an der er die Maske gelassen hatte.
War Latona zurückgekommen? Hatte sie die Maske gesehen? Oder hatte irgendein Passant das rote Ding entdeckt und beschlossen, es mitzunehmen? Dabei hatte er sie absichtlich so weit oben befestigt, dass sie nicht so leicht zu erreichen war. - Allerdings hatte er es damit auch für Latona fast unmöglich gemacht, sie sich zu holen, musste er sich eingestehen. Wie sollte ein Mädchen im langen Kleid auf den Felsen gelangen, ohne einen Skandal heraufzubeschwören? Daran hatte er zuvor nicht gedacht. Wie dumm von ihm. Sie war ja keine Vampirin wie Alisa, der dieser Sprung - Kleid hin oder her - keine Schwierigkeiten bereitet hätte. Wütend auf sich selbst, trat Malcolm noch einmal an den Fels heran. Wenn Latona zurückgekommen war, hatte sie die Maske sicherlich entdeckt und erkannt. Was, wenn sie nicht alleine gewesen wäre? Hätte sie dann nicht ihren Begleiter geschickt, das begehrte Stück für sie herunterzuholen? Konnte das der Geruch sein, den er oben wahrgenommen hatte? Wer war
dieser Mann? Eine Welle von Eifersucht wallte in Malcolm auf. Der Vampirjäger? Nein, diesen Geruch hätte er sicher erkannt. Einer der Männer, mit denen sie in der Nacht hier zusammengetroffen war? Malcolm konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Eine innere Stimme verbreitete Zuversicht und flüsterte ihm zu, die Maske sei nun in Latonas Händen. Doch warum in aller Welt hatte sie dann keine Nachricht für ihn zurückgelassen? Wie sollte er sie finden? Er war ihr keinen Schritt nähergekommen.
Oder hatte sie seine Botschaft zwar verstanden, wollte aber nicht, dass er sie fand? Hatte sie gar Angst vor ihm? Sich vor einem Vampir zu fürchten, war für ein junges Mädchen nicht unklug, musste Malcolm zugeben, auch wenn ihn die Vorstellung ein wenig empörte. Hatte er etwa in Rom versucht, ihr etwas anzutun? Er hatte mehr als eine Gelegenheit verstreichen lassen, obwohl es ihm ganz und gar nicht leichtgefallen war. Wusste sie das nicht? Oder wollte sie seine Selbstbeherrschung lieber nicht länger testen?
Egal wie die Antworten auf die unzähligen Fragen lauteten, die ihm durch den Kopf schossen, Tatsache war, die Maske war weg, und er konnte keinen Hinweis entdecken, der ihn zu Latona brachte. Enttäuscht ging Malcolm noch ein wenig auf und ab, bis sein Schritt ihn vor die Tür führte, hinter der die Pyras Hinweise auf ihren verschwundenen Clanführer gefunden hatten. Mit den Gedanken bei Latona, ließ er den Blick an der Vorderfront des Hauses entlangschweifen. Malcolm fragte sich gerade, ob er nun unverrichteter Dinge zum Val de Grâce zurückkehren sollte, als sein Blick an einem Fenster zu einem Schreibzimmer hängen blieb, das nicht vollständig geschlossen war. Malcolm betrachtete den Spalt, der ihn zum Eintreten einzuladen schien. Warum nicht? Wenn er schon einmal hier war, konnte er sich auch in der Quarantänestation des Tiergartens umsehen, die zum Vampirgefängnis geworden war. Malcolm schlüpfte ins Haus. Er trat auf den Gang hinaus und öffnete alle Türen, fand aber nichts Interessantes. Dann stieg er die Treppe hinunter in den Keller und betrat den Raum, in dem Seigneur Thibaut gefangen gehalten worden war, doch nichts erinnerte mehr an den Pyras, nur der Gitterkäfig war noch da. Ein wenig enttäuscht verließ er den Keller,
obwohl er nicht sagen konnte, was er erwartet hatte zu finden. Malcolm öffnete die letzte Tür, die ihn in einen Raum führte, dessen Mitte von einem großen quadratischen Tisch eingenommen wurde. An der Wand standen einige Stühle. Ein kleiner
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