Die Erben der Nacht - Pyras
unglaublich«, gab Alisa widerstrebend zu, schien aber noch immer nicht überzeugt.
»Vielleicht hat Erik eine Idee, woher die seltsame Schwäche der Altehrwürdigen kommen könnte. Er kennt sich in Paris aus und ist schon einige Jahre hier. Und die hiesige Unterwelt kennt er sicher wie kein anderer.«
Obwohl das Argument gut gewählt war und vernünftig klang,
wollte Alisa es nicht annehmen. »Ha, das hast du dir eben erst ausgedacht, um mich zu überreden!«
»Möglich«, gab Ivy zu. »Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto sinnvoller erscheint mir der Einfall.«
»Gib dir keine Mühe!«
»Du würdest mir also deine Schlüssel verweigern?«
Ivy spürte, wie Alisa mit sich haderte. Sie wusste, dass es unfair war, Druck auf die Freundin auszuüben, doch sie brauchte die Schlüssel. Es sei denn, sie wählte den oberirdischen Weg …
Untersteh dich, diesen Gedanken auch nur zu Ende zu denken, mischte sich Seymour ein. Wir werden nicht durch die halbe Stadt flanieren und uns überall auf der Straße präsentieren!
Manches Mal war es lästig, dass er immer in ihrem Geist war. Obwohl Ivy nicht ernsthaft daran dachte, fragte sie provokant zurück:
Sind wir nicht auch durch Hamburg und ganz Rom gestreift, ohne dass die Menschen uns bemerkt haben? Es ist bereits weit nach Mitternacht. Paris schläft!
Paris schläft nie und außerdem seid ihr in Rom sehr wohl bemerkt worden! Muss ich dich wirklich an den Vampirjäger mit seiner Silberklinge und an die Folgen dieser Nacht erinnern?
Das schlechte Gewissen wallte in ihr auf, doch es mischte sich auch ein wenig Trotz darunter. Du musst mich nicht an deine Verletzung erinnern und dass das Silber dich vernichtet hätte, wäre Tara nicht rechtzeitig nach Rom gekommen. Und dennoch muss ich dir sagen, dass dieser Kampf nicht notwendig gewesen wäre. Sie hätten uns nicht eingeholt. Du hast dich selbst leichtsinnig in Gefahr begeben.
Seymour schwieg. Er war beleidigt, oder ihm fiel nichts ein, was er darauf hätte erwidern können. Recht geben wollte er Ivy natürlich auf keinen Fall.
Alisa sah die Freundin noch immer unentschlossen an, dann seufzte sie und öffnete ihre Gürteltasche. »Da, nimm die Schlüssel, wobei es mir lieber wäre, wenn ich dich begleiten dürfte.«
Ivy wog den Schlüsselbund in der Hand. »Warum eigentlich nicht? Ja, wir trainieren unseren Orientierungssinn. Ziel ist - neben einem Abstecher bei Erik - ein Modesalon, in dem wir uns einkleiden
können. Der Opernabend rückt näher und wir haben noch nichts zum Anziehen!«
Ivy sah, wie Alisa ungläubig den Mund öffnete. »Ist das dein Ernst?«
»Aber ja, warum sollte ich den Abend mit Verdi vergessen haben?«
Alisa machte eine unbestimmte Geste in Richtung der Altehrwürdigen. »Weil es jetzt Dringlicheres gibt?«
»Für die Pyras offensichtlich, doch für uns? Wozu sind wir hier? Um unsere Kräfte zu vermehren - und um die Kultur der anderen Clans kennenzulernen. Das ist die Basis für eine dauerhafte Verständigung.«
Alisa gluckste. »Du legst dir das fein zurecht. Die Kultur der anderen Clans? Bei den Pyras kann man einen Opernbesuch nur schwerlich dazurechnen.«
»Na und? Es ist die Kultur Frankreichs oder besser gesagt die Kultur von Paris«, zog sich Ivy würdevoll aus der Affäre. »Und außerdem möchte ich zu gerne Aida erleben, wenn der Meister selbst dirigiert!«
Alisa steckte den Schlüssel wieder in ihre Tasche und grinste die Freundin an. »Wie kann ich mich solch schlagenden Argumenten entziehen? Gehen wir!«
Doch sie hatten die Rechnung ohne Franz Leopold gemacht, der ihnen am Ausgang den Weg verstellte.
»Ihr beiden habt doch nicht etwa vor, ohne männlichen Schutz durch die Unterwelt von Paris zu spazieren?«
»Nein, haben wir nicht«, gab Alisa zurück. »Seymour begleitet uns.«
»Seymour! Ha, entschuldige Kumpel, ich will dich nicht beleidigen, aber ich spreche hier von Vampiren, nicht von einem Kerl, der sich stets hinter einem Wolfspelz versteckt hält.«
Der Werwolf schnappte in Franz Leopolds Richtung, der sich schnell in Sicherheit brachte. Nun bemerkte auch Luciano, der mit seiner Cousine Chiara und Mervyn bei einem irischen Würfelspiel saß, dass etwas vor sich ging. Er übergab seinen Platz an Sören und eilte zu den Freunden hinüber. Fragend sah er von den Vampirinnen zu Franz Leopold.
»Sie wollten sich gerade ohne uns verabschieden!«, klärte ihn der Dracas auf.
»Was?« Luciano sah ungläubig von der einen zur anderen. In seiner Miene war
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