Die Erben der Nacht - Pyras
deutlich zu lesen, dass er gekränkt war.
»Wir wollten uns nur für die Oper Kleider besorgen«, sagte Alisa schnell, um ihn zu versöhnen. »Langweiliger Weiberkram!«
»Und ich? Brauche ich keinen Frack? Ihr habt doch nicht etwa daran gedacht, mir irgendeinen mitzubringen, der dann womöglich nicht richtig sitzt? Das ist nicht akzeptabel! Nicht wenn ich zu einer Aufführung gehe, bei der Verdi persönlich anwesend ist. Ich kann es kaum mehr erwarten. In Rom durfte ich ihn nur ein einziges Mal erleben und es war einfach großartig!«
Alisa und Ivy tauschten Blicke und gaben lieber nicht zu, dass sie sich über seine Ausstattung gar keine Gedanken gemacht hatten.
»Ich kann nicht anders, auch wenn es mir wehtut, ich muss für unseren Nosferas in die Bresche springen«, sagte Franz Leopold ein wenig gestelzt. »Ein Frack muss richtig sitzen, ob nun Verdi zu Besuch kommt oder nicht.« Luciano sah den Dracas erstaunt an. Von dieser Seite war er keine Schützenhilfe gewohnt.
»Ich komme mit, um euch zu beraten. In Sachen Kleidung habt ihr alle noch viel zu lernen!«, beschloss Franz Leopold. »Habt ihr schon eine Ahnung, wo ihr eure Suche nach der richtigen Garderobe beginnen wollt?«
Ivy und Alisa schüttelten die Köpfe. »Ich dachte, wir gehen in irgendeines der Bekleidungsgeschäfte an einem der Boulevards.«
Auf diese Bemerkung hin warf Franz Leopold der Lycana jenen Blick zu, mit dem er normalerweise Luciano bedachte, wenn dieser sich wieder einmal besonders ungeschickt anstellte.
»Sprich, ihr habt keine Ahnung, wo man etwas herbekommt, das der neusten Mode entspricht und in den Augen der Gesellschaft bestehen kann.« Er schüttelte den Kopf. »Wartet einen Moment. Ich werde mich erkundigen.« Franz Leopold ging davon.
»Also ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur einer der Pyras weiß, wo es modische Abendkleider gibt, egal ob er erst zwanzig oder schon hunderte Jahre in Paris weilt«, meinte Alisa.
»Er geht auch nicht zu einem der Pyras«, stellte Luciano fest. »Er fragt Anna Christina!«
Tatsächlich ging Franz Leopold schnurstracks zu seiner Cousine. Falls sie sich über seine Frage wunderte, so zeigte sie es nicht. Sie überlegte kurz und gab ihm dann eine Auskunft, die ihn zu einem zufriedenen Nicken veranlasste.
»Sie scheint es wirklich zu wissen«, sagte Luciano ein wenig fassungslos. »Wie ist das möglich? Wenn mich nicht alles täuscht, hat sie diesen Höhlenkomplex unter dem Val de Grâce nie verlassen, außer zu den gemeinsamen Übungen.«
»Wir neigen dazu, Anna Christina zu unterschätzen, weil sie sich so intolerant und desinteressiert gibt, doch wir mussten bereits in Irland erkennen, dass viel mehr in ihr steckt, als die Fassade vermuten lässt«, meinte Ivy.
»Wenn ich nur daran denke, wie sie mit dem Degen umgegangen ist«, ergänzte Alisa mit Bewunderung in der Stimme.
Luciano dagegen stöhnte. »Das darf nicht wahr sein. Er bringt sie mit hierher!«
Und wirklich, Anna Christina folgte ihrem Cousin. Ivy und Alisa waren mehr erstaunt als entsetzt. Damit hätten sie nicht gerechnet. Trotz ihrer nach wie vor abweisenden Miene wollte sie ihnen offensichtlich helfen.
»Das kann ich einfach nicht zulassen, sosehr es mir auch widerstrebt«, sagte sie statt einer Begrüßung. »Ich will mir gar nicht vorstellen, in welchen Gewändern ihr auftauchen würdet, ließe man euch alleine etwas auswählen.« Sie schauderte.
»Du willst also mitkommen, um uns zu beraten?«, versicherte sich Ivy.
Anna Christina zögerte. Fiel es ihr zu schwer zuzugeben, dass sie einem Vampir eines anderen Clans helfen wollte? Offensichtlich, denn sie wehrte ab.
»Ich habe selbst vor, mir ein anständiges Kleid zu besorgen. Ich gebe es ja nicht gerne zu, aber in Sachen Mode ist Paris Wien voraus. Auch wenn man nie auf diesen Gedanken käme, wenn man die Pyras sieht und wie sie hausen.« Sie zog die Nase kraus. »Aber wenn wir
schon einmal in den Häusern der Haute Couture sind, dann gebe ich euch gerne den ein oder anderen Tipp«, fügte sie großzügig hinzu und ging dann los, ohne sich zu vergewissern, ob die anderen ihr auch folgten. Alisa warf noch einen Blick zurück und suchte Hindrik und Matthias.
»Alles in Ordnung. Hindrik sitzt dort drüben und lauscht mit trübem Blick dem Redeschwall einer jungen Pyras, die, glaube ich, Nicolette heißt. Und Matthias döst dort hinten an der Wand vor sich hin. Sie haben nicht auf uns geachtet«, berichtete Alisa erfreut. »Wir müssen also nicht damit
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