Die Erben der Nacht - Pyras
sagt, so etwas gab es noch nie. Jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Sicher hat der eine oder andere mal einen Nachtschwärmer erwischt, dessen Blut nicht bekömmlich war, und musste eine Weile leiden. Doch nach der nächsten Totenstarre war alles wieder in Ordnung.«
»Ja, es ist unerklärlich und ein wenig unheimlich«, stimmte ihr Ivy zu.
»Na, wenigstens scheinen ihre Rinder und Schweine gesund zu sein«, meinte Luciano fröhlich. Er genehmigte sich noch eine der Blutrationen, die die Servienten unermüdlich herbeischafften.
»Die sind für die schwachen Altehrwürdigen gedacht«, mahnte ihn Alisa.
Luciano ließ sich nicht abhalten. »Ach was. Die Pyras wollen sicher nicht, dass einer der fremden Erben unter ihrer Obhut plötzlich tattrig wird. Also können sie nichts dagegen haben, wenn wir dem mit einer weiteren Stärkung entgegenwirken.«
Franz Leopold schürzte die Lippen. »Dass du schwächelst und vom Fleisch fällst, ist unwahrscheinlich. Ich vermute eher, dass du so fett wie dein Cousin Maurizio bist, bis du nach Rom zurückfährst.«
»Ich bin größer und schlanker geworden«, entrüstete sich Luciano, reckte sich in die Höhe und zog den Bauch ein.
Franz Leopold wiegte den Kopf hin und her. »Mag sein, dass das im vergangenen Jahr zutraf. Allzu freigiebig haben uns die Lycana ja nicht mit Blut versorgt. Aber seit wir hier sind, scheinst du jede Nacht nach mehr zu verlangen. Du wirst noch deinen Frack sprengen!«
Luciano blickte panisch an sich hinab und sah dann flehend zu den beiden Vampirinnen, um von ihnen zu hören, dass Franz Leopold wieder einmal schauderhaft übertrieb. Doch Alisa und selbst Ivy schwiegen. Plötzlich schmeckte ihm das Blut nicht mehr und er schob den halb vollen Becher zur Seite.
»Wer weiß, vielleicht sind auch ihre Rinder verseucht«, sagte er.
So floss die Nacht ereignislos dahin. Alisa borgte sich ein Buch von Vincent und vertiefte sich in die spannende Geschichte, während Ivy ein wenig abseits stumme Zwiesprache mit Seymour hielt. Ihre Miene war ernst und voller Sorge. Franz Leopold schlenderte ziellos umher und blieb dann bei seinem Vetter stehen. Mit ein paar alten Spießen, die sie irgendwo in den Höhlen aufgetrieben hatten, übten sie sich im Fechtkampf. Luciano sah ihnen wider Willen bewundernd zu. Schon bald hatte Karl Philipp keine Lust mehr und warf den Spieß beiseite. Zu Lucianos Überraschung nahm Anna Christina ihn auf und wog ihn abschätzend in der Hand. Sie trug, wie in den vergangenen Nächten zuvor, keinen Reifrock mehr unter ihrem Kleid, da er in den manchmal engen Gängen zu hinderlich war. Ihre Servientin Rajka hatte ihr den Saum gekürzt, sodass er nun um ihre Knöchel schwang und nicht mehr über den Höhlenboden schleifte. Marie Luise dagegen weigerte sich hartnäckig, sich den Pariser Gegebenheiten anzupassen. Sie saß in ihrem ausladenden Kleid mit einer
Miene des Leidens auf ihrem Sarg und ließ sich von ihrer Dienerin Karolina die Haare zu immer neuen kunstvollen Frisuren aufstecken. Sie verließ diesen Rückzugsort nur, wenn es gar nicht anders ging und die Pyras eine Übung anordneten. Ansonsten blieb sie die ganze Nacht dort sitzen und ließ sich von Karolina bedienen.
Ich würde vor Langeweile vergehen, dachte Luciano und schenkte ihr einen verächtlichen Blick. Wie konnte man nur so dumm und z ickig sein? Sein Blick wanderte zurück zu Anna Christina und Franz Leopold, die sich nun mit einigen Schritten Abstand gegenüberstanden und sich abschätzend fixierten.
»Nun, lieber Vetter, wirst du es wirklich wagen, gegen mich anzutreten?« Sie raffte mit der einen Hand elegant ihren weiten Rock und hob mit der anderen den Spieß wie zum Gruß.
Franz Leopold verneigte sich. »Es wird mir ein Vergnügen sein, dir eine Lektion in Demut zu erteilen, liebe Cousine.«
Er schlug so schnell zu, dass Luciano meinte, er müsse die Vampirin zu Boden geschleudert haben, doch Anna Christina parierte und ging nun ihrerseits mit einer raschen Schlagfolge auf ihren Vetter los. Die Schläge hallten wie Schüsse durch die hohe Kaverne und bald hatten die beiden die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gelenkt. Selbst Alisa legte ihr Buch beiseite und sah den beiden zu. Luciano trat zu ihr. »Eine kleine Wette gefällig? Ich sage, unser Leo macht sie fertig.«
Alisa verfolgte kritisch den nächsten Schlagabtausch. »Ich halte dagegen. Ich sage es ja nicht gern, aber Anna Christina ist brillant. Sie wird dem übersteigerten Selbstbewusstsein
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