Die Erben der Nacht - Pyras
gemeinen Pöbel.«
»Und nun fragen Sie mich?«
»Verstehen Sie das nicht falsch. Ich möchte wirklich gerne mit Ihnen in die Oper. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, im Parkett zu sitzen.«
»Die Logen sind ganz schrecklich teuer, nicht wahr?«, erkundigte sich Latona. Noch ehe sie es ausgesprochen hatte, wurde ihr Fehler ihr bewusst. Über Geld durfte man in der Gesellschaft ja nicht sprechen. Da hatte ihre direkte Art wieder mal die Oberhand behalten. Sie sah, wie sich Bram wand.
»Äh ja, das auch, außerdem sind sie seit Monaten ausverkauft. Seit
bekannt wurde, dass der Maestro persönlich dirigieren wird. Nun, wie ist es? Haben Sie Lust? Ich kann bei Ihrem Onkel vorsprechen, damit Sie keine Schwierigkeiten bekommen.«
»Auf keinen Fall!«, rief Latona. »Er braucht es nicht zu wissen. Wir warten, bis er das Hotel verlässt. Er geht so gegen sieben. Geben Sie mir eine Stunde, um mich umzuziehen - ich muss damit warten, bis er weg ist, sonst würde er womöglich Fragen stellen -, aber dann können wir gehen. Ist das zu spät?«
Bram Stoker schüttelte den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht. Wichtige Menschen kommen stets ein wenig später, damit ihr Auftritt gebührend bewundert wird.«
Latona lächelte ihm verschwörerisch zu. »Also um acht. Ich komme in die Halle herunter, sobald ich fertig bin.«
»Ich werde Sie hier erwarten. Dann bis morgen Abend. Ich freue mich sehr.«
»Ich freue mich auch«, wiederholte sie, während sie sich überlegte, was zum Teufel sie an diesem glanzvollen Abend tragen sollte. Vielleicht könnte sie ihren Onkel überzeugen, dass sie unbedingt neue Kleider benötigte. Er war in großzügiger Stimmung. Sie würde ausprobieren, wie großzügig …
Alisa öffnete den Deckel und setzte sich schwungvoll auf. Heute war die Nacht, der sie seit zwei Wochen entgegenfieberte. Verdis Aida . Ein Opernbesuch mit ihren Freunden in Begleitung des Phantoms! Sie spürte ein freudiges Kribbeln, das sie lächeln ließ. Doch dann erlosch ihr Lächeln. Wenn sie überhaupt gehen durften! Was, wenn Seigneur Lucien es ihnen verbot? Natürlich konnten sie versuchen, wieder einmal unentdeckt zu entwischen, doch wie sollten sie das in Abendgarderobe anstellen? Bisher war Alisa zuversichtlich gewesen und überzeugt, dass nichts und niemand ihnen diesen Opernabend verderben konnte, nun aber stellten sich Zweifel ein. Wie sollten sie den Pyras begreiflich machen, wie einzigartig und wichtig solch ein Ereignis war? Nein, sie würden es nicht verstehen.
Alisa sprang aus dem Sarg und sah sich kritisch um. War heute
wieder alles in Ordnung? Wie ging es den Altehrwürdigen? Noch war keiner von ihnen zu sehen. Alisa trat zu Ivy.
»Wie machen wir es? Sollen wir versuchen, uns heimlich davonzuschleichen, und uns erst bei Erik für die Oper umziehen?«
Franz Leopold, der ihre letzten Worte gehört hatte, stimmte ihr zu. »Was sie nicht wissen, können sie auch nicht verbieten!«
Ivy war dafür, um Erlaubnis zu bitten. »Wir werden viele Stunden weg sein. Was, wenn sie uns suchen?«
Franz Leopold hob die Schultern. »Sollen sie. Sie werden uns ja kaum bis in die Oper folgen, um uns mitten in der Vorführung aus der Loge zu zerren.« Er grinste. »Wobei das ein erstklassiger Skandal wäre, der in Paris sicher noch in Jahren für Gesprächsstoff sorgen würde.«
»Was machen wir, wenn sie Nein sagen?«, meinte Alisa. »Dann müssen wir uns fügen. Ihr glaubt doch nicht etwa, dass wir dann noch die Gelegenheit bekommen, uns unbemerkt davonzumachen?«
»Nein, vermutlich nicht«, musste Ivy zugeben, dennoch bestand sie darauf, den Clanführer zu informieren. Die anderen waren nicht überzeugt, konnten jedoch nicht verhindern, dass sie mit Seymour zu Seigneur Lucien ging.
»Oh nein«, jammerte Luciano, der sich mit wirrem Haar in seinem Sarg aufsetzte. »Sie verdirbt uns alles. Ich kann diesen Auftritt einfach nicht versäumen! Daran darf ich gar nicht denken.«
»Wirst du dich sonst in Verzweiflung im Sonnenlicht auflösen?«, fragte Franz Leopold.
»Darüber sollte man nicht scherzen«, meinte Alisa und schüttelte sich. Das Bild der vernichteten Nosferas im Brunnenschacht stieg in ihr auf und sie meinte, den Gestank von Verbranntem wieder riechen zu können.
»Man kann über alles scherzen«, widersprach Franz Leopold kühl.
»Da kommen Ivy und Seymour«, rief Luciano und war mit einem Satz aus seinem Sarg. Alisa hatte ihn noch nie so schnell aufstehen sehen. Die drei blickten ihr neugierig entgegen,
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