Die Erben der Nacht - Pyras
Noch nicht. Vielleicht in ein paar Jahren.« Sie seufzte.
Franz Leopold trat ganz dicht an sie heran. »Wer sagt denn, dass wir auf die Energie der Erde verzichten müssen? Denkst du, die Kraftlinien treten nur in Connemara zutage und sonst nirgends auf der Welt?«
Alisa starrte ihn verblüfft an. Sie konnte vage seine Umrisse erkennen. »Nein, das wäre nicht logisch. Aber gerade hier?«
Franz Leopolds Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. »Fühle es. Öffne deine Sinne! Glaubst du, die Menschen haben den Meridian in reiner Willkür durch das Herz von Paris gelegt?«
Alisa schloss die Augen und versuchte, ihren Geist frei zu machen, so wie sie es in Irland gelernt hatten. Sie tastete nach den Strömen der Erde, die den Wesen der Nacht Stärke und Macht gaben - und riss überrascht die Augen auf. Natürlich konnte man die Kraftlinie nicht mit der lodernden Flamme in der Glengowla-Mine vergleichen, wo der Energiefluss in das Herz des Marmors vorstieß, dennoch ließ sich damit etwas anfangen. Der Strom floss ganz nah vorbei, und sie fragte sich, warum sie ihn nicht schon früher bemerkt hatte. Natürlich, das war der Meridian, der unter dem Observatorium, dem Louvre und bis zu Eriks Versteck unter der Oper hindurchfloss.
»Fledermäuse?«, fragte Alisa.
Franz Leopold schüttelte den Kopf. »Nein, Ratten«, meinte er mit einem Hauch von Bedauern. »Das dürfte leichter sein. Obwohl mich die Aussicht, mit dem Bauch durch diesen stinkenden Unrat zu rutschen, nicht gerade in Begeisterung ausbrechen lässt.«
»Wir sollten unsere Kräfte miteinander verbinden«, schlug Alisa vor. »Sicher ist sicher. Ich will nicht in der Wandlung stecken bleiben.«
Franz Leopold zögerte nur einen winzigen Moment. »Gut.«
»He, Augenblick mal!«, rief Luciano, der ihren Austausch wortlos verfolgt hatte. »Und was ist mit mir? Habt ihr euch darüber schon Gedanken gemacht?«
»Wir könnten dir zusammen helfen. Dann müssten wir genug Energie für deine Verwandlung aufbringen können«, schlug Alisa ein wenig unsicher vor.
Franz Leopold war strikt dagegen. »Es wird auch so schon schwer genug. Denk daran, wir müssen auch wieder menschliche Gestalt annehmen. Oder wie willst du sonst mit dem Phantom sprechen?«
Alisa schwankte. Franz Leopolds Worte waren vernünftig - obwohl sie sich wunderte, dass er nicht wie üblich mit seinen unermesslichen Fähigkeiten prahlte, sondern einräumte, dass dies möglicherweise an seine Grenzen ging. Wenn sie sich aus Freundschaft zu Luciano auf seine Bitte einließen, konnte es passieren, dass sie ihm großen Schaden zufügten. Ja, es konnte sie alle in Gefahr bringen. Dass mit unvollendeten Wandlungen nicht zu spaßen war, hatte Luciano bereits schmerzlich am eigenen Leib erfahren müssen. Und hier war keine mächtige Druidin in der Nähe, nicht einmal Ivy würde rechtzeitig einschreiten können.
»Franz Leopold hat recht. Du wirst hierbleiben müssen.« In der Dunkelheit griff Alisa nach Lucianos Hand und drückte sie entschuldigend. Luciano entriss sie ihr und wich zurück.
»Was? Das kann nicht dein Ernst sein! Von Leo bin ich ja nichts anderes gewöhnt, aber dich habe ich für meine Freundin gehalten.« Seine Stimme drückte aus, wie tief verletzt er war.
»Luciano, bitte, mach es uns nicht so schwer. Natürlich bin ich deine Freundin, und gerade deshalb kann ich nicht zulassen, dass du dich einer Gefahr aussetzt, die du nicht abschätzen kannst.«
»Außerdem ist es deine eigene Schuld«, fügte Franz Leopold hinzu. Seine Stimme klang hart. »Wenn du so gut wärst wie ich oder Alisa, dann gäbe es kein Problem.«
Alisa hörte Lucianos Fingerknöchel knacken, und sie konnte sich vorstellen, wie viel Beherrschung es ihn kostete, dem Dracas nicht an den Hals zu gehen.
»Leo, halte den Mund und konzentriere dich lieber auf den Kraftstrom«, herrschte sie ihn an. Zu ihrer Verwunderung entgegnete er nichts. Sanft sagte sie zu Luciano: »Geh zurück in die Halle. Wir sind bald mit Erik zurück. Dann kannst du dich uns wieder anschließen.«
»Oh, wie großzügig unser Fräulein Vamalia heute Nacht wieder ist«, fauchte Luciano. »Nimm nur auf mich keine Rücksicht. Ich werde euch nicht im Weg sein. Heute nicht und nie mehr wieder!« Er wandte sich um und stürzte in die Finsternis davon. Sie hörten ihn gegen eine Felsecke prallen und laut fluchen. Dann verklangen seine Schritte. Alisa wäre fast dem Impuls gefolgt, ihm nachzulaufen. Wie konnte sie es ertragen, einen Freund in
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