Die Erben der Nacht - Pyras
Stücke Hausrat und Wäschebündel lagen. Auf ihnen kauerten zwei magere Mädchen mit schmutzig blondem Haar. Die Frau schleppte eine hölzerne Kiste aus der Wohnung. Auch sie wirkte müde und abgehärmt. Ihr Bauch war von einer weiteren Schwangerschaft aufgequollen und wölbte ihr geflicktes Kleid. Ein kleiner Junge saß im Schmutz und spielte ungerührt mit ein paar Stöckchen. Im Gegensatz zu den ängstlich dreinblickenden Mädchen schien er noch nicht zu begreifen, dass sein gewohntes Leben gerade aus den Fugen geriet. Der Mann setzte den Korb ab und nahm dann der Frau die Kiste aus den Händen.
»Komm jetzt«, sagte er fast sanft.
»Wohin? Sag mir, wohin?«
»Hans und Jacob sind mit ihren Familien nach Hammerbrook gezogen. Er sagt, dort gibt es noch genug Platz, sich eine Hütte
zu zimmern, wenn wir keine Wohnung finden, die wir bezahlen können. Dort kannst du vielleicht sogar ein paar Kartoffeln pflanzen oder Rüben ziehen«, versuchte er, den Ort seiner Frau schmackhaft zu machen, doch ihr rannen Tränen über die Wangen.
»Und wie kommst du jeden Tag noch vor Sonnenaufgang zum Hafen und wie ich zum Hopfenmarkt, um Obst zu lesen? Wer sieht nach den Kindern? Oder sollen sie jeden Tag zwischen der Stadt und Hammerbrook hin- und herlaufen? Wie stellst du dir das vor?«
Der Mann hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Die anderen stehen vor dem gleichen Problem. Und es wird noch viel schlimmer. Die Häuser rund um das Dovenfleet müssen bis morgen geräumt sein. Die Leute vom Wandrahm sind schon weg. Jeder sucht, sich neu einzurichten. Wir werden schon einen Weg finden. Und nun trockne deine Tränen und komm.« Unbeholfen tätschelte er ihr die Schulter und spannte sich dann vor die Deichsel des Karrens.
»Hannes, komm her!«, rief die Mutter, doch der Knabe achtete nicht auf sie. Er rappelte sich auf und deutete in die düstere Ecke des Hofes, in der sich der Abfall am höchsten stapelte.
»Hannes!«
»Ich möchte aber den großen weißen Hund streicheln«, rief das Kind störrisch und ging auf den Haufen zu. »Ich glaube, es ist ein Wolf! Darf ich ihn mitnehmen?«
Die Mutter stieß einen Seufzer aus, eilte zu ihrem Sprössling und packte ihn bei der Hand. »Komm jetzt, wir haben einen weiten Weg.«
»Ich will aber erst den Wolf streicheln!«
»In Hamburg gibt es keine Wölfe«, widersprach der Vater. »Und schon gar keine weißen.«
»Ich habe ihn aber genau gesehen«, murrte der Knabe und ließ sich widerstrebend von der Mutter aus dem Hof ziehen. Der Karren rumpelte über das Kopfsteinpflaster davon, die Stimmen verhallten. Stille senkte sich nun auch über den letzten Hof des Häuserblocks.
»Nächstes Mal hältst du dich im Hintergrund«, rügte Ivy den Wolf an ihrer Seite. Seymour brummte unwillig.
Luciano ging zu den Treppenstufen hinüber, die zu der Souterrainwohnung führten, aus der die Familie gerade ausgezogen war. Von
einem kurzen, schmalen Flur gingen zwei Türöffnungen ab. Türen gab es keine. Der erste kleine Raum mit einem winzigen Fenster in Bodenhöhe war die Küche gewesen. Ein uralter eiserner Ofen, den sie wohl nicht hatten transportieren können, stand noch da. Der gestampfte Lehmboden war nass und in einer Mulde in der Ecke stand Brackwasser von der letzten Sturmflut. In dem anderen Zimmer hatte die Familie gelebt. Es war kaum groß genug für ein breites Bett, einen Tisch und ein paar Stühle. Auch hier war das Fenster so klein und nah am Boden, dass vermutlich nicht viel Tageslicht hereinkam.
Alisa trat neben ihn und ließ den Blick schweifen, doch ihre Gedanken schienen woanders zu sein.
»Sie sagen, die Häuser um das Dovenfleet sind auch betroffen und der Wandrahm soll bereits geräumt sein. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Das sind verdammt viele Menschen! Es müssen Tausende sein, die sich eine neue Bleibe suchen. Aber warum? So schrecklich das hier ist«, sie machte eine ausholende Geste, die den ganzen Häuserblock zu erfassen schien. »Freiwillig haben die Menschen ihre Wohnungen sicher nicht verlassen. Nur, was steckt dahinter?«
»Vielleicht machen sich Dame Elina und ihre Vertrauten genau darüber ebenfalls ihre Gedanken«, vermutete Ivy. »Es könnte ja sein, dass ihre Versammlung mit dem plötzlichen Verschwinden der Menschen zu tun hat.«
Alisa nickte langsam. »Und Hindrik hat sie losgeschickt, um etwas in Erfahrung zu bringen. Ja, das könnte sein. Ich denke, wir machen uns auf den Rückweg und versuchen herauszufinden, was sie wissen.«
Als
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