Die Erben der Nacht - Pyras
Samtkissen und einem vergoldeten Wappen auf dem Deckel, wenn ich bitten darf.«
»Wie Ihr wünscht. Ich werde darauf achten.«
Franz Leopold zog eine Grimasse. »Nein, ich achte lieber selbst darauf. Außerdem kann ich ja nicht riskieren, womöglich den ganzen Spaß zu verpassen. Wer weiß, was wir auf dem Weg alles erleben. Du kannst den Sarg natürlich gerne für mich tragen.« Der Servient nickte stumm, während Alisa ironisch anfügte: »Nein, wie großzügig von unserem Dracas!«
Am Ende gingen sie alle, bis auf die drei Dracas, die unter dem Schutz von Anna Christinas Servientin Rajka in der Halle zurückblieben. Marie Luise mit ängstlichem Blick, eng an ihre Cousine gedrückt, Anna Christina mit einer Miene voller Abscheu, ihr Vetter Karl Philipp eher gelangweilt.
Die Erben folgten den Pyras aus der Halle in ein Gewirr von Gängen. Auf Wunsch einiger Erben trugen sie einige Fackeln bei sich. Die Gänge waren in erstaunlich gutem Zustand. Die Quader sauber behauen, die Decken überwölbt. An jeder Kreuzung waren Buchstaben und Zahlen in den Stein gemeißelt. Ivy blieb stehen und fuhr mit dem Zeigefinger über die Inschriften.
»Rue des Bourguignons sous le mur du Val de Grâce - unter der Mauer des Val de Grâce«, las sie vor. »Sie haben auch hier unten Straßennamen eingraviert? Erstaunlich!« Ein paar Ecken weiter fand sie den Hinweis: 5LG und darunter 1780.
»Was bedeutet das?«, fragte Alisa Joanne, die vor ihr ging.
»Diese Zeichen stammen von den Renovierungsarbeiten des ersten Generalinspekteurs der Steinbrüche, Guillaumot. Nachdem im Norden und Süden immer wieder Häuser einstürzten, gar ganze Straßenzüge absackten, begannen sich die Pariser für die mittelalterlichen Steinbrüche unter ihren Füßen zu interessieren. Mit Entsetzen stellten sie fest, dass ihre Stadt auf einem riesigen Labyrinth errichtet
war. Sie beschlossen eine Inspektion der Steinbrüche und begannen nach dem ersten großen Schock damit, Karten zu erstellen und große Abschnitte zu befestigen. Viele unsichere Gänge und Höhlen haben sie zugeschüttet oder vermauert, andererseits haben sie auch selbst wieder Gänge gegraben, um Hohlräume aufzuspüren. Ob der Untergrund dadurch wirklich übersichtlicher und sicherer wurde, bezweifle ich.« Sie lächelte verschmitzt. »Jedenfalls ist das hier ein Abschnitt, den Guillaumot 1780 absichern ließ.«
»Und die Straßennamen? Hat er die auch anbringen lassen?«, fragte Ivy.
»Viele davon, ja, um sich zu orientieren . Allerdings heißen nicht mehr alle Straßen oben so wie damals. Die Rue d’Enfer - die Höllenstraße - ist oberirdisch geheiligt worden und heißt heute Saint Michel. Den Teufel gibt es nur noch hier unten.«
Ivy hätte gern noch mehr erfahren, doch nun erreichten sie die Kammern unter dem Friedhof. Wie vielerorts wurden in Montparnasse die Toten nicht nur in ihren Särgen in die Erde gebettet oder in den schmalen Häuschen der Familiengrüfte gestapelt. Es gab unter dem Friedhof auch ausgedehnte Krypten und Gänge mit Nischen, unterirdische Beinhäuser, die die Knochen alter, leer geräumter Gräber aufnahmen, und großzügige Begräbnisstätten einst einflussreicher, heute jedoch längst vergessener Persönlichkeiten der Pariser Gesellschaft.
Die Vampire teilten sich in mehrere Gruppen auf. Ein paar stahlen aus den Werkstätten um den Friedhof neue Särge und schafften sie in die Gänge hinunter. Andere räumten Särge in den Familiengrüften leer. Eine dritte Gruppe sah sich in den Krypten nach brauchbaren Särgen um.
»Der dort drüben würde mir durchaus zusagen«, meinte Franz Leopold und zeigte auf einen alten Sarkophag aus angelaufener Bronze, den ein prächtiges Wappen zierte.
»Ein junger Vicomte«, sagte Ivy, die sich eine der Fackeln geborgt hatte, um die Inschrift zu entziffern.
»Dann dürfte der Sarg für mich die geeignete Ruhestätte sein«, meinte Franz Leopold und winkte Matthias heran. Der trat an den
mächtigen Sarkophag und hob ihn prüfend an der einen Seite an. Er musste unglaublich schwer sein.
Alisa verdrehte die Augen. »Das kann nicht dein Ernst sein! Du willst Matthias dieses Monstrum durch die Gänge schleppen lassen?«
»Warum nicht?«, gab er zurück, aber Ivy hatte den Eindruck, er wollte damit nur Alisa provozieren. Zum Glück mischte sich Sébastien ein.
»Den nicht«, sagte er kurzangebunden. »Das gibt ein zu großes Geschrei, wenn der fehlt. Außerdem könnte er an einigen Biegungen hängen bleiben.« Matthias’
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