Die Erben der Nacht - Pyras
Reich genügend Kleider gekauft.«
»Aber doch keine, die man in der Oper von Paris tragen könnte!«, rief Latona, entsetzt über so viel Unverstand.
Ihr Onkel verdrehte die Augen. »Weiber! Nun gut, dann geh dir ein Kleid kaufen. Das dürfte in Paris ja nicht so schwierig sein.«
Er hatte wirklich keine Ahnung, aber Latona schwieg und sah zu, wie er seine Brieftasche zückte und ein paar Scheine herausnahm.
»Da musst du schon noch ein paar Louisdor dazulegen, wenn ich nicht in irgendwelchen Lumpen erscheinen soll«, widersprach sie, als er ihr das Geld in die Hand drücken wollte. Carmelo schimpfte über die Verschwendungssucht der Weiber, legte aber noch ein Bündel Scheine drauf, die Latona rasch in ihrem Ridikül verschwinden ließ. Damit ließ sich etwas anfangen, wenn sie das Glück hatte, ein Kleid zu finden, das ihr passte und das sie sofort mitnehmen konnte. Für langes Maßnehmen und die anschließende Anfertigung, wie es in den besseren Geschäften immer noch üblich war, blieb keine Zeit. Wenn sie überhaupt so schnell an Karten für die Oper herankamen, was sie ernsthaft bezweifelte.
Den Rest der Nacht überließen die Pyras die Erben sich selbst, obwohl Alisa gehofft hatte, sie würden wenigstens ein paar Stunden Unterricht erhalten. Stattdessen trafen sie sich zu kleinen Gruppen, tauschten wild gestikulierend einige Sätze aus und hasteten dann wieder davon, um in irgendwelchen verschlungenen Gängen zu entschwinden. Vincent beschwerte sich, dass er endlich seine Bücher wieder bei sich haben wollte. Sie konnten ja nicht ewig in dem Eisenbahnwaggon bleiben. Aber niemand kümmerte sich um seine Wünsche. Alisa war froh, wenigstens ihre wichtigsten Dinge bei sich zu haben. Ihre Bücher waren zum Glück in Hamburg geblieben.
Eine Weile betrachtete Alisa ihre Gastgeber und schüttelte dann den Kopf. Ob das bei den Pyras immer so zuging? Sie versuchte zu hören, was gesprochen wurde, doch mehr als ein raues Flüstern drang nicht an ihr Ohr. Alisa gab es auf.
»Die Zeit läuft uns davon!«, murrte sie.
»Oh ja, diese eine Nacht ist kostbar. Wir sind ja nur noch zehn Monate hier«, spottete Franz Leopold.
»Ich würde zumindest gern lernen, wie sie das mit den Ratten machen. Es ist hier unten verdammt schwierig, an Fledermäuse heranzukommen. Und so ganz ohne Lichtquelle sind wir hier fast wie eingesperrt.« Wenigstens hatten die Pyras in der großen Halle Lampen entzündet, sodass die Erben sich nicht von einem Pfeiler zum anderen tasten mussten. Die Gänge außerhalb waren jedoch alle finster wie die Höhlen von Aillwee.
Franz Leopold nickte bedächtig. »Ja, dieser Gedankengang entbehrt nicht einer gewissen Logik.«
»Ist euch schon aufgefallen, dass die verschiedenen Pyras eine sehr unterschiedliche Anzahl an Ratten mit sich führen?«, fragte Ivy.
»Ist das wichtig?«, gähnte Luciano.
»Ich weiß nicht, vielleicht. Mir kommt es so vor, als hätten die Jüngeren nur wenige von ihnen, egal ob Reine oder Servienten, während einige der Älteren stets von mehreren Dutzend umgeben sind. Wir können Fernand fragen.« Und das tat Ivy auch, sobald sie ihn erspähte.
»Es ist ein Zeichen von Stärke und Macht«, gab er bereitwillig
Auskunft. »Man muss sie schließlich die ganze Zeit unter Kontrolle halten. Wer es schafft, sie zu bändigen und auf sich einzuschwören, darf die Ratten, die er eingefangen hat, behalten. Es wird aber nicht gern gesehen, wenn man sie einem schwächeren Familienmitglied abspenstig macht - es sei denn, der Vampir hat sie entlassen. Manchmal muss man das, wenn die Führung der Tiere zu sehr an den Kräften zehrt. Oder man kann einen offiziellen Kampf um die Ratten austragen, der dann von drei Altehrwürdigen oder anderen angesehenen Familienmitgliedern überwacht wird.«
»Und was bringen mir die vielen Ratten, wenn ich sie nicht aussaugen darf?«, fragte Luciano.
»Zum einen eben Ansehen. Zum anderen sind es die Dienste, die uns die Ratten leisten. Wenn wir unterwegs sind, schicken wir sie in alle abzweigenden Gänge, um zu erfahren, ob dort jemand unterwegs ist, eine Patrouille der Gendarmen oder Schmuggler, Arbeiter, die die Abwasserkanäle säubern, Abenteurer oder Räuberbanden. Es zieht viele Menschen in die Finsternis hinab.«
»Dann geht ihr hier unten auf die Jagd?«, fragte Alisa interessiert.
»Das ist ganz verschieden. Manche bevorzugen es, im Untergrund zu bleiben, andere schlendern gern durch das mondäne, nächtliche Paris, wieder andere ziehen die
Weitere Kostenlose Bücher