Die Erben der Nacht - Pyras
hat?«
Vielleicht erwog er kurz, sich mit den falschen Federn zu schmücken, doch seine Ehrlichkeit siegte, und er schüttelte den Kopf. »Nein, aber es war nicht sonderlich schwer, in Claudes Geist zu lesen, der - wenn ich das einmal so sagen darf - nicht gerade der komplizierteste ist, den ich je besucht habe.«
»Ach so«, sagte Luciano halb erleichtert, halb enttäuscht. »Das hätte Ivy auch hingekriegt.«
»Hätte sie, ja, doch sie plagen stets zu viele Skrupel. Ich will ihr nicht wünschen, dass sie einst in eine Situation gerät, wo dieses falsche Zögern Kopf und Kragen bedeutet! Moral ist etwas für Menschen.«
Ivy war natürlich anderer Meinung, verzichtete aber darauf, mit Franz Leopold ein Streitgespräch zu beginnen, denn Claude sprach wieder und versuchte, den Erben zu erklären, wie sie das Kollektiv der Ratten für ihre Zwecke nutzen konnten. Man musste Rudel mit einem starken Anführer zusammenstellen und sich dann auf diesen fixieren.
»Ziel ist es, dass sie einfach da sind, in eurer Nähe, und dass sie euch berichten, was sie aufspüren. Das kann auf Befehl geschehen so wie eben, es kann aber auch vom Führungstier jedes Rudels ausgehen, die sich melden, wenn sie etwas Ungewöhnliches oder Interessantes entdecken. Der große Vorteil ist, dass ihr euch nicht auf jedes einzelne Tier konzentrieren müsst und euer Geist daher weiter nahezu frei bleibt, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, ohne die Gruppe zu verlieren. Ja, sie bleiben sogar in der Phase eurer Todesstarre mit euch verbunden und sind am Abend, wenn ihr erwacht, bereit, euch zu berichten, was während des Tages geschehen ist, und eure Befehle für die Nacht zu empfangen.«
Beifälliges Raunen erhob sich. Sogar Karl Philipp hob den Kopf und musterte den Pyras interessiert.
»Unsere Seigneurs und einige Altehrwürdige schaffen es sogar, während der Todesstarre Nachrichten zu empfangen und Anweisungen zu geben«, behauptete Claude, doch das wollte Alisa nicht so recht glauben.
»Wie soll das funktionieren?«
»Nicht umsonst heißt der Zustand Todesstarre«, stimmte ihr Luciano zu.
Ivy wiegte den Kopf. »Vielleicht haben sie einen Weg gefunden, ihren Geist vor der Starre zu schützen, sodass er nur ihren Körper befällt. Einige unserer Servienten haben schließlich auch gelernt,
dem Schlaf einige Zeit zu widerstehen, selbst wenn sie in einen Zustand von Schwäche geraten.«
»Nicht nur die«, sagte Franz Leopold leise und mied ihren Blick. »Auch du kannst das, wie wir wissen.« Ivy tat so, als hörte sie seine Worte nicht, und fuhr stattdessen scheinbar ungerührt fort:
»Ich habe gar das Gerücht gehört, unter den Vyrad in London gäbe es Vampire, die es geschafft haben, den Fluch der Todesstarre völlig abzuschütteln und - fast so stark wie in der Nacht - auch bei Tageslicht umherzustreifen.«
»Sie können in die Sonne?«, rief Luciano ungläubig.
Ivy schüttelte den Kopf. »Nein, den direkten Sonnenstrahlen können auch sie sich nicht aussetzen. Aber wenn sie sich im Schatten aufhalten, passiert ihnen nichts.«
»Ich weiß nicht, ob ich das glauben kann, oder ob das wieder eine dieser Angebereien der Vyrad ist, die sich für die Elite der Vampire halten«, entgegnete Franz Leopold.
»Ich werde Malcolm fragen«, kündigte Alisa an und verstummte dann hastig, als Claude zu ihnen herübersah.
»Habt ihr es verstanden oder sind noch Fragen? Wenn nicht, dann beginnt mit den Übungen.«
Alisa und Luciano sahen einander betreten an. Sie hatten nichts von der Erklärung des Pyras mitbekommen. Auch Franz Leopold wusste vermutlich nicht mehr, verbarg dies jedoch hinter seiner hochmütigen Miene. Ivy dagegen hatte einen Teil ihrer Aufmerksamkeit weiterhin auf den Pyras gerichtet und erklärte den dreien, was sie machen sollten. Alisa atmete auf. Selbst wenn Claude in seinem Wesen nicht so wild war, wie sein Äußeres es vermuten ließ, hätte sie nicht gern zugegeben, dass sie seine Ausführung verpasst hatte, und um eine erneute Erklärung gebeten.
So übten die Erben den Rest der Nacht, wie sie Ratten aufspüren und anlocken, sie in Gruppen teilen und ihnen Aufgaben übertragen konnten. Dabei war es zuerst einmal entscheidend zu erkennen, zu welcher Art die Ratte gehörte, die ihr Geist in den Gängen draußen aufstöberte. Es war gar nicht einfach, an Tiere heranzukommen, die noch keinem Pyras unterstanden, denn es wäre natürlich äußerst unhöflich
gewesen, einem anderen seine Tiere abspenstig zu machen. Das
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