Die Erben der Nacht - Pyras
werden, ja, vielleicht sogar unmöglich. Wie sollte er das alleine schaffen? Rom zu durchstreifen und mithilfe der Hinweise des Zirkels Vampire aufzuspüren, war ein Kinderspiel gewesen, aber das hier? Das hörte sich gar nicht gut an. Der Fang hier beruhte allein auf einem glücklichen Zufall. Das durfte nicht wahr sein! Doch aufzugeben war er nicht bereit. Er brauchte das Geld.
Und wenn er eine Schar Männer anheuerte? Dann müsste er sie bezahlen, was seinen eigenen Gewinn schmälern würde. Außerdem,
wie viele Gendarmen oder Männer der Nationalgarde konnten gut genug mit einem Schwert umgehen, um gegen einen Vampir zu bestehen? Ganz davon abgesehen wusste er nicht, wie er so plötzlich an weitere gute Klingen aus Silber herankommen sollte.
Dann Fallen auslegen? Eine Treibjagd und Netze? Auch dazu mussten sie das Gebiet erst einmal eingrenzen und würden eine ganze Truppe von Männern brauchen. Sein Mut sank. Er sah sich in Gedanken bereits seine Koffer packen und zumindest in ein einfacheres Quartier umziehen.
»Wie vernichtet man einen Vampir? Ist es wahr, dass man ihm eine silberne Klinge ins Herz stoßen und ihm dann den Kopf herunterschlagen muss?«, unterbrach der Junge seine Gedanken.
Carmelo nickte. »Ja, das ist die übliche Methode. Alle anderen Verletzungen heilen während ihrer Todesstarre bei Tag - wobei ich bei meinen Studien festgestellt habe, dass es zwei Arten von Vampiren geben muss. Die einen sind nach nur einem Tag wieder völlig unversehrt, egal wie schwer die Verletzung war. Andere brauchen je nach Tiefe ihrer Wunden oder der Schwere der Knochenbrüche drei oder auch mehr Tage.« Er betrachtete das Wesen hinter Gittern wieder mit Interesse. »Aber jetzt, da wir ein Exemplar zur Verfügung haben, können wir ja ein paar Experimente mit ihm machen.« Er sah sich fragend um. Der Zoologe nickte begeistert, während der junge Höhlenforscher eher ablehnend dreinsah.
»Wir könnten noch einen Fachmann der Medizin hinzuziehen«, regte Direktor Baillon an.
»Oder einen Alchimisten«, schlug Martel mehr zum Spaß vor, doch die Herren nickten eifrig.
»Ja, ein Chemiker und ein Arzt«, rief Girard begeistert, während sich Carmelo an seine ersten Tests mit dem gefangenen Vampir machte.
»Ich führe das Protokoll«, bot Martel an, nahm ein Klemmbrett vom Sekretär und befestigte einige leere Blätter.
So verging die Nacht. Sorgfältig hielt der junge Höhlenforscher die Ergebnisse fest. Längst schlief Armand auf einer Decke in der Ecke auf dem Boden, während sein Vater und die anderen Männer
nicht genug von ihren Experimenten bekommen konnten. Es war wie ein Rausch, und sie sprühten vor Einfällen, was man an dieser seltsamen und gefährlichen Kreatur noch ausprobieren könnte. Zu Anfang versuchte der Vampir, sich den meist unangenehmen und oft schmerzhaften Tests zu entziehen, doch die starken Eisenketten hielten ihn unerbittlich fest. Bald ergab er sich in sein Schicksal. Nur die Augen der Bestie rollten in ihren blutunterlaufenen Höhlen. Stunden vergingen. Plötzlich lief ein Zittern durch den massigen Körper. Der Vampir zuckte, seine Lider schlossen sich, und er sackte zur Seite, wo er reglos liegen blieb.
»Da, sehen Sie? Er ist wieder bewusstlos geworden«, rief Viré.
»Wie ist das passiert?«, fragte Martel verblüfft.
»Was haben Sie ihm als Letztes verabreicht?«, wollte Baillon wissen.
Carmelo blieb als Einziger gelassen. »Er ist bewusstlos? Aber ja, und das hat nichts mit den Experimenten zu tun. Wenn Sie hinausgehen, meine Herren, werden Sie sehen, dass die Sonne aufgegangen ist.«
»Schon?«, wunderte sich Direktor Baillon. »Nun, dann können wir nichts weiter tun. Er wird in diesem Zustand verbleiben, bis die Sonne wieder untergegangen ist, nicht wahr?« Carmelo nickte.
»Gut, gehen wir, meine Herren«, sagte Girard gähnend. »Treffen wir uns heute Abend wieder, um fortzufahren. Ich werde derweil mit ein paar Kollegen anderer wissenschaftlicher Disziplinen sprechen, die vielleicht Nützliches zu unseren Forschungen beitragen können.«
Schwatzend verließen die Wissenschaftler den Raum. Carmelo drehte sich unter der Tür noch einmal um und betrachtete die gequälte Kreatur, die still in ihrem Käfig lag. So etwas wie Mitgefühl wallte in ihm auf und er wandte sich rasch ab. Direktor Baillon löschte die Gaslampen und verschloss die Tür.
DAS PHANTOM DER OPER
»Wohin geht ihr?«, fragte Malcolm, als er Tammo und Fernand bemerkte, die sich gerade heimlich
Weitere Kostenlose Bücher