Die Erben der Nacht - Pyras
Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden und dies nicht mit dem Leben bezahlt haben«, sagte er mit schwacher Stimme und wischte sich den Schweiß mit einem riesigen Taschentuch vom Schädel, obwohl es hier drinnen eher kühl war. Der alte Mann überlegte nicht lange und schüttelte vehement den Kopf.
»Ich weiß nicht, was Sie da eingefangen haben. Bei Gott, von so einer Kreatur habe ich noch nie gehört, aber das Phantom der Oper ist es ganz sicher nicht! Hätte mich auch gewundert, wenn er sich so einfach in eine Falle locken und einsperren hätte lassen. Er ist ein Magier, der sich sogar in Rauch auflösen kann. Man kann ihn nicht festhalten!«, sagte er mit Ehrfurcht in der Stimme. Nach dieser langen Rede trat er zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte nichts mehr.
»Sie hören es«, schnaufte der Direktor der Oper. »Er ist es nicht. Er gleicht auch nicht den Beschreibungen, die man hört.«
»Dann haben Sie das Phantom nie mit eigenen Augen gesehen?«, wunderte sich der Höhlenforscher Martel.
»Nein, und ich lege auch keinen Wert darauf. Können wir dann gehen? Wie ich sehe, konnten Sie mein Problem nicht beseitigen, daher geht mich das dort drin nichts mehr an. Meine Herren, ich
empfehle mich. Ich erwarte heute Abend ein volles Opernhaus und muss mich um meine Gäste kümmern. Komm, Rémi, gehen wir.«
Die beiden Männer verließen den Jardin des Plantes und ließen die anderen schweigend in Betrachtung der Kreatur zurück, die ab und zu knurrte und die Zähne zeigte.
»Die Eckzähne sind außergewöhnlich lang und spitz«, sagte der Junge fachmännisch und beugte sich ein wenig vor. »Was frisst es? Haben Sie es herausgefunden, Monsieur Girard?« Er drehte sich zu dem Zoologen um, der den Kopf schüttelte.
»Er reagiert auf Blut«, sagte Henri Ernest Baillon leise, seine Stimme zitterte leicht. Der Junge drehte sich mit einem Ruck um.
»Menschenblut?« Der Direktor nickte kaum merklich.
»Dann ist das hier ein Vampir!« Armand betrachtete den Gefangenen mit Interesse. »Hast du gehört, Papa? Ihr habt einen Vampir gefangen.«
»Das hast du richtig erkannt, mein Junge«, bestätigte Carmelo. Die anderen Männer sahen einander an. Ihre Blicke schwankten zwischen ungläubig und ein wenig furchtsam.
»Ich habe es gewusst!«, rief Armand triumphierend. »Maman sagt immer, diese Geschichten über Vampire seien erfunden, um kleine Kinder zu erschrecken.«
»Nein, das sind sie nicht«, widersprach Carmelo, »und es gibt mehr Vampire auf dieser Welt, als wir uns vorstellen möchten.«
»Dann glauben Sie, in Paris gibt es noch mehr wie ihn?«, wollte der Junge wissen. Ihn schien der Gedanke nicht zu beunruhigen.
»Ich bin davon überzeugt. Sie leben in Rudeln, in großen Familienverbänden. Das hier ist nur der Anfang!« Carmelo machte eine Pause und ließ den Blick über die Gesichter der Männer schweifen, um die Wirkung seiner Worte zu prüfen.
»Woher wissen Sie das? Kennen Sie sich mit Vampiren aus, Monsieur?«, erhob sich wieder die helle Stimme des Jungen.
»Ich habe in vielen Ländern dieser Erde Vampire gejagt und vernichtet«, sagte Carmelo. »In Rom gab es Dutzende von ihnen. Alte und Junge, Männer und Frauen, aber alle gefährlich - tödlich! Es ist eine Seuche, die sich ausbreitet.«
»Wie die Cholera?«, fragte der Junge.
»Ja, so kann man sagen«, stimmte Carmelo zu. »Sie suchen sich ihre Opfer, rauben ihr Blut und machen sie zu einem der Ihren. So werden sie immer mehr, bis sie ganz Paris unterwandert haben. Meine Herren, Sie haben allen Grund zur Furcht. Die Vampire sind unter Ihnen und Sie können bei Nacht nirgends mehr sicher sein!«
»Nun übertreiben Sie aber!«, protestierte der Zoologe. »Wie könnte das sein, wo in Paris noch nie ein Vampir gesichtet wurde! Noch nie habe ich etwas von einem Angriff dieser Blutsauger gehört.«
»Weil Sie nicht richtig hinhören«, meinte Carmelo und wandte sich an Baillon. »Herr Direktor, ich habe Ihnen eine Aufgabe gegeben. Haben Sie sie erfüllt? Ich denke schon, sonst wären wir wohl nicht zu dieser Stunde hier versammelt.«
Baillon nickte ein wenig gequält. »Ja, ich habe sowohl in den Krankenhäusern als auch bei der Polizei nachgefragt.«
»Und?«
»Es gibt erschreckend viele Opfer mit Wunden an Hals und Kehle, die unter Schwäche und Blutarmut leiden, verwirrt sind und sich an einzelne Stunden oder ganze Tage nicht erinnern können.«
»Und die Toten?«
»Leichen, ja, blass und blutleer, draußen in den
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