Die Erben der Nacht - Pyras
Gipshöhlen oder im Süden in den alten Steinbrüchen. Ein paar wurden durch die Sammler der großen Abwasserkanäle angeschwemmt. Meist wurden sie nicht als vermisst gemeldet. Die verschwundenen Personen, nach denen ich ebenfalls fragen sollte, sind nicht eindeutig in ihrer Zahl zu bestimmen. In Paris verschwinden viele Menschen und keiner kümmert sich darum. Gerade wenn dies nicht in bürgerlichen Kreisen passiert, sondern unter denen, die keine feste Arbeit und keine Wohnung haben, können sie mir nicht helfen, hat der Kriminalpolizist gesagt.«
Carmelo beugte sich vor. »Ich will nicht behaupten, dass alle Mordopfer und Vermissten auf das Konto der Vampire gehen, aber diese Kreaturen«, er deutete mit einer ausholenden Geste auf den Gef esselten, »sind mit Sicherheit für die allermeisten verantwortlich. Sie dürfen nicht die Augen vor der Wahrheit verschließen. Sie
müss en die Bestien, die den Untergrund von Paris verseuchen, vernichten!«
Erst herrschte Totenstille, die nur ab und zu durch das Knurren des Vampirs durchbrochen wurde, dann begannen die Männer, aufgeregt durcheinanderzureden. Carmelo lehnte sich gegen die Wand und wartete geduldig. Sie würden schon noch zur einzig richtigen Entscheidung kommen - hoffte er jedenfalls. Dann wäre ein langer und bequemer Aufenthalt in Paris gesichert, und er würde auch nicht das luxuriöse Hotel verlassen müssen, in dessen Zimmerfluchten er sich mit Latona eingemietet hatte.
Latona. Der Gedanke an sie versetzte ihm einen Stich und ein ungutes Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus. Wie sollte es ihm gelingen, seine Jagd nach den Vampiren vor ihr geheim zu halten? Er würde sich verdammt gute Ausflüchte suchen müssen. Sie war für ihr Alter viel zu aufgeweckt und schlau. Sie einzuweihen, kam gar nicht infrage. Nicht nach der Sache in Rom und seinem Versprechen. Er würde es nicht ertragen, die Enttäuschung über s einen Verrat in ihren Augen lesen zu müssen. Doch hatte er eine Wahl?
»Nun, meine Herren?«, fragte er, als die Diskussion ein wenig ruhiger wurde.
»Ich bin dafür, dass diese Kreaturen vernichtet werden!«, rief Alain Viré.
»Sie sind gefährlich und wider die Natur«, stimmte ihm der Direktor zu.
»Man sollte einige behalten und sie studieren«, schlug Girard, der Zoologe, vor.
»Und ich bin dafür, dass wir sie erst einmal finden, bevor wir weiter überlegen, was wir mit ihnen anstellen!«, sagte Edouard-Alfred Martel ruhig. Die Männer starrten ihn an. Der Junge kicherte hinter vorgehaltener Hand.
»Sie haben dieses Exemplar in den unterirdischen Gängen gefunden?«, sagte Carmelo und unterdrückte seinen Ärger über die spöttische Bemerkung des jungen Höhlenforschers. »Dort werden auch die anderen sein.«
Martel nickte. »Da stimme ich Ihnen zu. Nur ich wiederhole, dort unten müssen wir sie erst einmal finden.«
Carmelo bemerkte, dass der Direktor schauderte und ein wenig betreten dreinblickte. »Es wird doch Pläne von diesen Schächten und Gängen geben!«
»Oh ja, die gibt es«, sagte der Höhlenforscher heiter. »Unzählige Pläne für noch mehr Kavernen, Höhlen, Abwasserkanäle und Korridore. Sie müssen wissen, die Pariser waren von jeher fleißig, ihren Untergrund zu unterminieren. Schon im Mittelalter, nein falsch, schon unter den Römern wurden Schächte angelegt und Kalkstein im Süden und Gips im Norden in großem Stil abgebaut. Sie müssen sich in einer Tiefe von zwanzig bis vierzig Metern mehrere Stockwerke eines Labyrinths unterschiedlichster Kavernen vorstellen. Natürlich unterhöhlten sie damals nicht ihre Stadt, doch die Stadt wucherte im Laufe der Jahrhunderte über die Steinbrüche hinweg. Als die Häuser und Straßen darüber mancherorts absackten, wurde ein Inspekteur benannt, der die Gänge zu kartieren begann. Einige Jahre war er mit seinen Helfern beschäftigt, die unzähligen Systeme zu finden und zu begehen. Sie mauerten viele zu, stützten ab, verfüllten und schafften neue Gänge auf der Suche nach dem, was sie vielleicht übersehen haben könnten. Danach kamen die Schmuggler, die sich unter der Zollmauer durchgruben, dann der Ausbau der Abwasserkanäle unter Baron Haussmann. Es sind mehrere hundert Kilometer Gänge, verteilt auf mindestens vier bis fünf Stockwerke, die den Untergrund von Paris durchziehen. Ein gewaltiges Unterfangen, die Vampire dort aufzuspüren, mit Kartenmaterial oder ohne.«
Carmelo blinzelte, als wäre er aus einem Albtraum erwacht. Das würde schwierig
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