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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Kreuzung, die rechts in die Gewölbe unter der Oper und zum unterirdischen See führt«, wisperte Joanne den anderen zu.
    Vorsichtig näherten sie sich der Stelle und merkten, dass der Geruch intensiver wurde. Ja, er war aus diesem Gang gekommen und ging nun vor ihnen den Weg, den auch die Ratten ihnen wiesen.
    »Es ist seltsam«, meinte Alisa und zog die Nase kraus.
    »Was?«, wollte Luciano wissen.
    »Der Geruch dieses Menschen. Er ist anders. Da ist etwas Wildes, wie man es bei den Werwölfen wahrnehmen kann, und doch ist es kein Raubtier. Und dann sind da noch Spuren von ganz fremden Stoffen, die ich nicht aufschlüsseln kann. Ein wenig Schwefel? Schwarzpulver? Etwas Ätzendes? Und etwas unangenehm Süßliches.«
    Ivy war ein paar Schritte vorgetreten und lauschte in den Gang hinein. »Ich kann nichts hören und Seymour auch nicht. Wir müssten seine Schritte vernehmen. Kein Mensch kann sich so leise fortbewegen!«
    »Dann hat er sich irgendwo am Weg verborgen«, schlussfolgerte Franz Leopold.
    Joanne schüttelte den Kopf. »Nein, er ist tatsächlich fast so leise wie ein Vampir unterwegs. Ich habe nie herausgefunden, wie er das schafft. Vermutlich liegt es daran, dass er so ähnlich lebt wie wir - ich meine nicht, dass er Blut trinkt -, doch er lebt vor den Menschen verborgen in der Dunkelheit der unterirdischen Gewölbe.«
    »Wer?«, fragte Luciano.
    »Der Mann vor uns, den die anderen Menschen das Phantom der Oper nennen.«

    »Eine seltsame Zeit«, sagte Alain Viré und strich sich sein dunkelbraunes Haar zurück. Er war mit seinem Sohn Armand gekommen, ein aufgeweckter Junge von etwa zehn Jahren, der sich neugierig umsah und die exotischen Tiere in ihren Käfigen betrachtete.
    Der junge Geograf und Höhlenforscher Edouard-Alfred Martel nickte. »Und Sie sind sich ganz sicher, dass er sieben Uhr abends gesagt hat?«
    Alfred Girard, der führende Zoologe am Institut, das zum Jardin des Plantes gehörte, nickte. »Ja, das war sein ausdrücklicher Wunsch. Das heißt, eigentlich der Wunsch des Mannes, den er uns vorstellen möchte. Wo er nur bleibt?«
    In der Nähe quietschte eines der Gittertore, und als die Männer sich umwandten, sahen sie Baillon zusammen mit Olivier Halanzier-Dufresnoy, den Direktor der Oper, einen Mann in den Kleidern eines einfachen Bühnenarbeiters und einen fremden Herrn um die fünfzig, den Baillon ihnen als Carmelo Riccardo vorstellte.
    »Wir müssen uns beeilen«, drängte Carmelo und schob Baillon auf die Tür des Quarantänehauses zu.
    »Warum?«, wollte dieser verdutzt wissen. »Sie haben doch auf diesem späten Termin bestanden und gesagt, wir sollten uns für die gesamte Nacht nichts anderes vornehmen.«
    »Ja, nun aber ist Eile geboten, damit ich den ersten Beweis für seine Identität erbringen kann«, sagte Carmelo und eilte auf den Raum mit den Gittern zu, in dem das gefangene Wesen in einem todesähnlichen Schlaf am Boden kauerte. Die anderen Männer folgten ihnen und drängten sich hinter den beiden in den Raum. Obgleich sowohl Martel als auch Girard beim Einfangen der Kreatur mitgeholfen hatten, stand ihnen die Neugier ins Gesicht geschrieben. Am unverhohlensten drängte sich der Junge nach vorn und betrachtete das erstarrte Biest, das selbst jetzt noch wild und gefährlich wirkte.
    » Das soll das Phantom der Oper sein?« Die helle Stimme des Jungen schallte durch den Raum.
    »Es ist ja noch immer bewusstlos«, sagte Martel enttäuscht. »Ich dachte, die Betäubungspfeile hätten nicht gewirkt.«
    »Vielleicht haben sie eine Weile gebraucht, um zu wirken, und
nun kreist zu viel Betäubungsmittel durch seinen Körper. Wenn wir Pech haben, wacht er gar nicht mehr auf«, meinte der Zoologe düster.
    »Das müssen Sie nicht befürchten«, widersprach Carmelo. »Er wird jeden Augenblick erwachen und wilder sein denn je.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«, fragte der Zoologe verblüfft, doch da stieß der junge Viré einen Schrei aus. »Seht! Es kommt zu sich.«
    Und wirklich. Ein Zittern durchlief den massigen Körper, dann sprang die Bestie unvermittelt auf die Beine und nahm eine Stellung wie zum Angriff ein - soweit ihre Fesseln es ihr gestatteten.
    »Wie konnten Sie das wissen?«, drängte nun auch Martel.
    »Die Sonne ist untergegangen«, antwortete Carmelo schlicht, ohne sich um die fragenden Gesichter zu kümmern.
    »Nun, ist das euer Phantom?«, wollte er vom Direktor der Oper wissen, der aber schob den Bühnenarbeiter vor. »Er ist einer der wenigen, die ihm von

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