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Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Titel: Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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aufgeschlagen in der Hand. Childe Harolds Pilgerfahrt.
    Bram wusste selbst nicht so recht, warum er an diesem Abend gerade dieses Buch aus dem Regal gezogen hatte. Eigentlich war der Versstil des Lords ein wenig zu schwülstig und theatralisch für seine nüchterne Art. Und doch gab es etwas in diesen Worten, das ihn berührte, ja, seine Seele umtrieb. Es war diese düstere Leidenschaft, die unter der Oberfläche brodelte. Der Geist, der unruhig in die Welt drängte und keinen Trost in seinen eigenen Worten fand. Nicht in dem Sturm der Begeisterung, der Byrons Veröffentlichungen folgte, und nicht in den Schmeicheleien der Frauen, die ihn so umschwärmten. Er wollte etwas schaffen, ein Held sein, der die Welt verändert, und nicht nur mit schönen Worten in Erinnerung bleiben. Sein Klumpfuß, unter dem er seit seiner Geburt litt, demütigte ihn, und er versuchte alles, das Leiden zu verbergen. Er konnte kein Tanzparkett betreten, ohne es zu offenbaren. Also tanzte er nicht und betrieb nur Sport, bei dem ihn sein Fuß nicht behinderte.
    Bram konnte den Selbsthass auf das Gebrechen nur allzu gut nachfühlen. Vielleicht zog es ihn deshalb immer wieder zu Byrons Versen. Er selbst hatte als Kind eine lange Phase schwerer Krankheit durchlitten, die ihn bewegungslos an sein Bett gefesselt hatte. Bis zu seinem achten Lebensjahr hatte er nur hinter zugezogenen Vorhängen im Dämmerlicht gelegen und das Wandern der Schatten beobachtet. Er konnte alleine weder stehen noch gehen. Wie oft hatte er sich eingebildet, er läge auf seinem Totenbett und die anderen warteten nur darauf, ihn in seinen Sarg zu heben und den Deckel zu schließen.
    Es war ihm wohl bewusst, warum er sich so intensiv mit dem Tod und der Wiederauferstehung beschäftigte, und mit den Wesen der Nacht, die jeden Morgen in den Todesschlaf fielen, nur um am Abend in einem jungen, starken Körper wieder zu erwachen und sich auf die Jagd nach frischem Blut zu begeben!
    Es war ein faszinierendes Steckenpferd oder eine krankhafte Leidenschaft, wie Florence es nannte, mit der er nicht mehr über diese Dinge sprach. Ja, seit er Latona ins Internat geschickt hatte, sprach er überhaupt nicht mehr darüber, was ihn bei Tag beschäftigte und nachts umtrieb. Er vermisste Latona, mehr als er zuzugeben bereit gewesen wäre, daher schob er den Gedanken weg und widmete sich wieder seiner Lektüre.
    Als aber tief die Sonn im Westen schien,
    Griff er zur Harfe, die er wohl zuzeiten
    Anschlug zu kunstlos schlichten Melodien,
    Wenn fremdes Ohr nicht lauschte. Durch die Saiten
    Ließ rauschend nun er seine Finger gleiten
    Und sang im Dämmerlicht sein Ade!
    Dem Aug entflohen ferne Uferweiten,
    Hinflog das Schiff auf Fittichen von Schnee;
    Da klang sein » Gute Nacht« hinaus in Wind und See:
    » Ade, ade! Der Heimat Saum
    Versinkt in blauer Flut;
    Der Nachtwind seufzt, auf Wogenschaum
    Kreischt wilde Möwenbrut.
    Der fliehenden Sonne folgen wir,
    Die fern im Westen lacht:
    Ein Lebewohl noch ihr und dir,
    O Heimat! – gute Nacht!
    » Welch klingende Worte des großen Dichters. Du liest Byron? Ich hätte nicht gedacht, dass er dir liegt, und doch…« Sie machte eine Pause und schien zu überlegen. Dann nickte sie versonnen. » Ja, ich verstehe. Es ist das Zerrissene, das Düstere, das ihn immer wieder forttreibt, was euch verbindet.«
    Bram blinzelte, und als er sich davon überzeugt hatte, dass er weder an Hirngespinsten noch an von Sehnsucht getriebenen Halluzinationen litt, wandte er sich um und begrüßte Ivy, die am Fenster lässig in einem Stuhl saß, ein ähnliches Büchlein in der Hand, das er als das Seine erkannte. Wie lange war sie schon im Zimmer? Warum hatte er dieses Mal ihre Ankunft nicht gespürt?
    » Weil ich es nicht wollte.«
    Vermutlich. Er traute ihr alles zu.
    Ivy legte den Kopf schief, beantwortete die erste Frage jedoch nicht.
    » Bist du gekommen, um mit mir Gedichte zu lesen?«, fragte er, um einen leichten Tonfall bemüht.
    » Warum nicht? Ist das nicht eine schöne Beschäftigung in einer so lauen Nacht, die noch ein wenig nach dem scheidenden Sommer schmeckt?«
    Er ließ ihre Worte in sich nachklingen. Sie waren selbst fast ein Gedicht.
    Ivy wehrte lachend ab. » Zu viel der Ehre. Bleiben wir lieber bei den wahren Meistern dieser Kunst. Ich finde Childe Harolds Pilgerfahrt ja ganz nett, aber das hier passt mir im Augenblick besser.«
    Ivy begann zu lesen, dass es Bram abwechselnd eiskalt und heiß glühend durch den Körper rann.
    Wenn ins Haus meiner

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