Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Titel: Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
richtige Richtung wiesen. Und jedes Mal tauchte pünktlich Malcolm auf, um sie aufzufangen und zu ihrem Sarg zu tragen. Wovon sie allerdings nie etwas mitbekam. Alisa wusste nicht so recht, ob sie es bedauern sollte oder ihn zurechtweisen und es ihm verbieten. Aber wer sollte sie dann in ihre Kissen betten? Der kleine Vincent? Das war albern, obgleich seine Körperkräfte dazu ausreichten. Sie hatte ihn schon Särge voller Bücher schleppen sehen!
    Es war wieder so weit. Jeder der Erben hatte sich mit dem ihm zugeteilten Vyrad in eine andere Kammer zurückgezogen und stürzte sich– mehr oder weniger eifrig– in seine Übungen. Die Sonne erschien am Horizont, doch Alisa schritt hocherhobenen Hauptes im kleinen Salon auf und ab und zitierte Verse von Byron, während Vincent mit einem Buch auf den Knien im Schneidersitz auf dem Boden saß. Er tat zwar so, als gelte seine Konzentration nur dem neusten Erwerb seiner Sammlung, doch Alisa wusste, dass er sie aus den Augenwinkeln beobachtete und jede Schwankung ihrer Stimme belauerte. Wenn sie sich auch nur verhaspelte, verriet sie damit das Nachlassen der Konzentration und damit ihrer Kräfte. Alisa nahm sich fest vor, das Gedicht dieses Mal fehlerfrei zu rezitieren, doch im letzten Drittel begann ihre Zunge schwer zu werden. Sie versprach sich, die Worte kamen ihr allmählich nur noch undeutlich über die Lippen. Sie bemerkte es, konnte aber zu ihrem Ärger nichts dagegen tun. Schließlich klappte Vincent sein Buch zu und erhob sich.
    » Gehen wir. Es ist gleich wieder so weit.«
    Und in diesem Moment ging auch schon die Tür auf und Malcolm trat in den Salon. Er lächelte ihr zu.
    » Du bist ja noch richtig wach. Wunderbar! Du machst gute Fortschritte.«
    Alisa wandte sich ihm zu, stolperte und musste sich an der Lehne des Sessels festhalten, um nicht zu stürzen. » Ich werde es heute noch länger schaffen«, nuschelte sie undeutlich und schloss für einen Augenblick die Lider, um sich auszuruhen und Kräfte zu sammeln. Dann stemmte sie sich wieder auf und wartete, dass sich das verschwommene Bild um sie herum klärte.
    » Geh noch einmal um den Tisch herum«, befahl Vincent. » Und dann wiederholst du mir noch einmal eines der Gedichte, die du mir aufgesagt hast.«
    Lord Byrons Worte fielen ihr im Moment nicht ein. Das einzige Gedicht, an das sie sich noch zu erinnern glaubte, war der Zauberlehrling von Goethe. Wie war noch gleich der Anfang gewesen? Alisa unterdrückte ein Gähnen. Wenn es sie nur nicht so viel Konzentration kosten würde, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sich gleichzeitig an die Zeilen zu erinnern und die Anstrengung meistern, die Worte verständlich auszusprechen, war schwer genug.
    » Hat der alte Hexenmeister
    Sich doch einmal wegbegeben!
    Und nun sollen seine Geister
    Auch nach meinem Willen leben.«
    Sie hielt inne. Vincent lobte sie, obgleich Alisa wusste, dass sich ihre T eher nach genuschelten D anhörten. Sie schüttelte den Kopf, um den Blick zu schärfen, ging noch drei Schritte, wobei sie sich an einer Stuhllehne festhielt, und sagte:
    » Seine Wort und Werke
    Merkt ich und den Brauch
    Und mit Geistesstärke
    Tu ich Wunder auch.«
    Sie blieb vor Malcolm stehen und sah mit flatternden Lidern zu ihm auf. Sie wussten beide, was nun kommen würde. Alisa verdrehte die Augen und sackte mit einem kleinen Seufzer in sich zusammen. Malcolm fing sie auf und legte sie über seine Arme. Ihr Kopf fiel nach hinten. Aus ihrem Haar lösten sich die letzten Nadeln, sodass ihre rötlich blonden Flechten bis zum Boden herabhingen.
    Vincent sprang vom Boden auf, klemmte sich sein Buch unter den Arm und ging zur Tür.
    » Gut, das war’s für heute. Sie macht sich. Ich denke, bald ist sie so weit. Sie muss nur noch lernen, ihre Kräfte besser einzuteilen. Dann fällt es ihr auch leichter, sich noch auf andere Dinge zu konzentrieren– nicht nur auf Gedichte.«
    Vincent hielt Malcolm die Tür auf, der mit der Last in seinen Armen hinaustrat, um Alisa wie jeden Morgen zu ihrem Sarg zu tragen und in ihre Kissen zu betten.
    *
    Franz Leopold kehrte von seiner Übung zurück. Er war stolz darauf, so schnelle Fortschritte zu machen. Die anderen seiner Gruppe lagen bereits erstarrt in ihren Särgen, doch er hatte sich unter dem unerbittlichen Training von Lady Margaret persönlich selbst besiegt und war sogar noch in der Lage, sich höflich vor ihr zu verbeugen, sich mit nahezu klar klingenden Worten zu verabschieden und sich auf eigenen Füßen auf den Weg

Weitere Kostenlose Bücher