Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
genauer in Augenschein zu nehmen. Malcolm versuchte sich an einem Lächeln und öffnete die von einer Blutkruste verschorfte Lippe, wobei er seitlich eine frische Zahnlücke präsentierte.
» Nichts von Bedeutung«, wiegelte er ab. Er versuchte sich aus ihrem Griff zu winden, doch so leicht ließ sich Alisa nicht abschütteln.
» Ach ja? Und wer war dein Gegner bei diesem bedeutungslosen Zusammentreffen?«
» Na, was denkst du wohl?«, erklang Ivys Stimme neben ihr, die mit Seymour vom Hof her durch das Gittertor trat. » Franz Leopold de Dracas! Das ist ja nicht schwer zu erraten.«
» Und warum habt ihr euch so zugerichtet?«
» Auch das erübrigt sich eigentlich zu fragen«, ergänzte Ivy, nachdem Malcolm nicht bereit war, ihr zu antworten, und schleunigst das Weite suchte.
» Ja?« Alisa war überzeugt, dass Ivy unmöglich meinen konnte, was ihr selbst als Erstes durch den Kopf geschossen war. Doch die Lycana nickte und schnitt eine Grimasse.
» Genau das. Sie haben sich um einen Weiberrock geprügelt, genauer gesagt um den, der hier an meiner Seite steht. Und falls du das auch noch wissen willst: Leo hat damit angefangen, weil er es nicht ertragen konnte, mit anzusehen, wie Malcolm dich zu deinem Sarg tragen wollte.«
» Und da ist er einfach auf Malcolm losgegangen und hat ihn geschlagen?«, erkundigte sich Alisa fassungslos, die sich solch ein ungezügeltes Verhalten bei dem seit Wochen in eisiger Zurückhaltung verharrenden Dracas nicht vorstellen konnte.
» Ja. Wobei es sich Malcolm durchaus nicht nehmen ließ, ordentlich zurückzuschlagen. Es war ein recht beeindruckender Faustkampf, und du musst nicht glauben, dass Leo besser aussieht als Malcolm. Ah, da kommt er übrigens.« Sie wies nach draußen, wo der Dracas gerade von der Middle Temple Lane her in den Fountain Court einbog.
Alisa fuhr herum. » Na der kann was erleben!«, rief sie und stürmte hinaus. Ivy sah zu Seymour hinunter, der zu winseln begann.
» Sorgst du dich um Leo? Er hat Malcolms Schläge ganz gut überstanden, aber nun noch eine derart wütende Alisa? Ja, vielleicht sollten wir uns Sorgen um ihn machen«, sagte sie spöttisch. Seymour machte Anstalten, ihr zu folgen, doch Ivy legte ihre Hand in seinen Nacken.
Nein, das halte ich für gar keine gute Idee. Lass die beiden das unter sich austragen. Kommst du? Ich geh jetzt zu Malcolm in die Halle und achte darauf, dass er viel frisches Rinderblut trinkt, damit seine Wunden schneller heilen und der Zahn bald nachwächst. Und ich werde dafür sorgen, dass unsere beiden Kampfhähne ein wenig Abstand voneinander halten. Vielleicht rette ich damit die eine oder andere Vampirexistenz. Obgleich ich mich ja nicht mehr in die Angelegenheiten anderer einmischen wollte. Du meinst, ich spotte? Ich sei unangebracht zynisch? Vielleicht mein lieber Bruder. Ja, vielleicht hast du recht.
*
Franz Leopold schlenderte um die Ecke auf die Halle zu. Er ging langsamer als sonst, um nicht zu hinken. Er hatte sich bei seinem Sturz die Treppe hinunter das Bein böse verdreht, sodass es selbst nach seiner Tagesruhe noch höllisch schmerzte. Zum Glück war es nicht gebrochen, denn sonst würde er noch einige Nächte Probleme damit haben. So hoffte er, bereits am nächsten Abend von den Schmerzen befreit zu sein und wieder frei ausschreiten zu können, ohne lächerlich das Bein nachziehen zu müssen.
Es gelang ihm zwar einigermaßen, das Hinken zu verbergen, doch der Schaden, den sein Gesicht bei der Prügelei genommen hatte, ließ sich leider nicht so leicht verstecken. Franz Leopold hatte kurz erwogen, sich die schwärzlich verfärbten Flecken von Matthias überschminken zu lassen, doch der Zweifel im Blick seines Schattens hatte ihn schnell davon abgebracht. Die Schwellungen würden dennoch zu sehen sein, er konnte ja kaum aus den Augen sehen. Da war es besser, zu den Spuren seines Kampfes zu stehen und den Kopf hoch zu tragen. Sollte es jemand wagen, über ihn zu spotten! Es war ihm zumindest ein geringer Trost, dass Malcolm vermutlich kaum besser aussah.
Als er in den Hof einbog, sah er Alisa auf sich zustürmen. Eine Woge von Zorn umgab sie, und da sie nicht im Mindesten von seinem Aussehen überrascht schien, war ihm klar, dass sie die Neuigkeiten bereits vernommen hatte.
» Guten Abend, Alisa«, empfing er sie, doch sie erwiderte seinen Gruß nicht einmal. Stattdessen schleuderte sie ihm entgegen:
» Was erdreistest du dich! Wie kannst du es wagen, Malcolm anzugreifen und dermaßen
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