Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
mit dem Degen forderst? Sei nicht albern. Du bist zwar älter, aber ich bin dir in allem überlegen.«
Dagegen wusste sein Vetter nichts zu sagen, obgleich er der körperlich Kräftigere der beiden war. Franz Leopold machte das mit seiner Schnelligkeit und seiner Geschicklichkeit mehr als wett. So konnte Karl Philipp nur ohnmächtig die Fäuste ballen. Franz Leopold schnaubte verächtlich.
» Wenn dein Familiensinn dich übermannt, dann kümmere dich doch um unsere Heulsuse und hör dir ihr stetiges Gejammer an. Ich wünsche dir viel Spaß! Ich jedenfalls umgebe mich lieber mit Vampiren, die nicht nur mit Schönheit, sondern auch mit Geist, Humor und vor allem Charakter gesegnet sind!«
Er wandte sich ab und setzte seinen Weg fort, ohne die beiden weiter zu beachten, die ihm hasserfüllte Blicke nachsandten.
» Sei dir deiner Überlegenheit nur nicht zu sicher«, knurrte Karl Philipp. » Nimm dich in Acht. Auch du hast Schwächen und bist nicht unverletzlich.«
In Gedanken schon in der großen Halle, überquerte Franz Leopold den Fountain Court mit seinem Brunnen und strebte auf das Tor unter dem Eingangsturm zu. Es war ihm, als könne er Alisas warmes Lachen hören. Er beschleunigte seine Schritte, bis er die offene Tür erreichte und sein Blick die Temple Hall erfasste. Franz Leopold blieb unvermittelt stehen. Da stand sie mitten in der Halle bei Luciano und Clarissa. Ein Stück weiter hinten steckten Sören und Chiara die Köpfe zusammen, während sich Tammo lautstark mit den beiden Pyras unterhielt. Die Schatten der Erben hielten sich im Hintergrund und warteten still, bis sie wieder gebraucht wurden. Franz Leopolds Blick kehrte zu Alisa zurück. Er betrachtete sie, als wolle er jede Einzelheit in sich aufsaugen. Ja, das war sie, genauso, wie er sie in seiner Erinnerung die langen Wochen des Sommers vor sich gesehen hatte. Und dennoch auch ein wenig anders. Eleganter. Erwachsener. Ihre Stimme und ihr warmes Lachen aber waren unverändert. Nur dass dieses nicht ihm galt, sondern Malcolm, der ihre Hand an sich zog und mit der seinen bedeckte. Franz Leopold nahm stürmische Gefühle wahr, gefolgt von Bildern voller Sehnsucht. Irland, Paris, das war lange her. Warum strahlte sie ihn dann so an? Und er? Seine überschwänglichen Gefühle drangen ihm geradezu aus jeder Pore! Was sagte er zu ihr? Wie sie bewundernd zu ihm aufsah. Verflucht!
Nun hob er die Hand und kniff ihr liebevoll in die Wange. Was für eine Dreistigkeit! Sie müsste ihm eine Ohrfeige verpassen! Nein, sie lächelte weiter zu ihm auf und schob nun auch noch vertraulich ihren Arm unter den seinen. Natürlich, sie wollten ein intimes Plätzchen aufsuchen, an dem sie ungestört sein würden. Leo wankte zurück und floh den Gang hinunter, ehe die beiden ihn entdecken konnten. Hinter einer angelehnten Tür verborgen, lauschte er den sich entfernenden Stimmen, bis sie verklangen.
Franz Leopold hörte nicht einmal hin. Er dachte, er müsse sich unter dem Schmerz krümmen, der durch seinen Leib fuhr. Seine Knie fühlten sich seltsam weich an. Er ließ sich zu Boden sinken. Ihm war übel. Was konnte nur geschehen sein?
Alles war so wunderbar gewesen, als sie am Ende des Akademiejahres in Wien Abschied voneinander genommen hatten. Und nun?
Nun war sie zu dem zurückgekehrt, dem ihre Bewunderung seit dem ersten Jahr gegolten hatte!
Dann hatte er in Wien nur den Lückenbüßer gespielt, weil Malcolm nicht gekommen war?
Der aufwallende Zorn tat gut, denn er vertrieb den Schmerz. Erst Ivy und dann Alisa. Die eine hatte ihn belogen und ihm vorgespielt, eine Lycana reinen Blutes zu sein, und die andere hatte seine Gefühle ausgenutzt, solange der, den sie wirklich wollte, nicht greifbar war. Franz Leopold sprang auf und ballte die Fäuste.
Wie einfältig war er gewesen, auf beide Vampirinnen hereinzufallen! Vielleicht lachten sie hinter seinem Rücken über ihn. Über den dummen Dracas, dem sie beide etwas vorgespielt hatten. Er hatte sich von diesen Abkömmlingen minderwertiger Clans an der Nase herumführen lassen. Verdammt! Vielleicht lag Karl Philipp gar nicht so falsch. Vielleicht hatte er seinem Vetter unrecht getan.
Franz Leopold seufzte tief. Seine Fäuste öffneten sich. Wie hatte er sich nur so täuschen können? Aber das würde ihm nicht noch einmal passieren. Nein, niemals wieder würde er einem anderen Vampir die Gelegenheit geben, ihn so tief zu kränken. Keinen würde er jemals wieder so nah an sich heranlassen. Schon gar keine
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