Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
schob die fremden Gefühle von mir. Zu meiner Überraschung gelang mir das nicht nur, ich übertrug damit auch meine Empfindungen auf Dracula. War er einen Augenblick zuvor noch wütend gewesen, so verwehte der Zorn plötzlich und machte einer ungewohnten Gleichmut Platz. Als ich das erkannte, versuchte ich nach und nach mehr. Ich veränderte nicht nur seine Gefühle, ich begann den Fluss seiner Gedanken sanft umzuleiten, bis ich ihn an die Stelle geführt hatte, wo ich ihn haben wollte.«
» Wahnsinn«, hauchte Luciano. » Weißt du überhaupt, wie stark und mächtig du inzwischen geworden bist? Ich wollte dich nicht zum Feind haben!«
Ivy lächelte ihn an. » Ich glaube nicht, dass du überhaupt Feinde hast.«
Leo unterbrach sie. » Gut, du hast ihn also hergelockt, indem du seine Gedanken gelenkt hast. Hast du alles so geplant und überwacht? Seine Vorbereitungen und die Reise?«
» Ja, ich bin jedem seiner Schritte gefolgt, bin mit ihm über das Meer gefahren und habe ihn im Hafen erwartet, als das Geisterschiff auf den Kai zuglitt und Dracula in Gestalt des Wolfes von Bord ging.«
» Wo ist er jetzt?«, wollte Tammo wissen.
» Wenn er sich nicht in dem Haus aufhält, das ich ihn über die Anwälte Carter, Paterson & Co habe anmieten lassen, dann ist er wohl irgendwo in London auf der Jagd.«
Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Als sie die Lider wieder hob, sagte sie: » Dracula ist in Covent Garden. Die Vorstellung im Theatre Royal in der Drury Lane ist gerade zu Ende. Er folgt einem Paar, das in Richtung der Markthallen davonschlendert. Er überlegt, ob er sich nur an der Frau gütlich tun soll oder ob er sich ihren Begleiter als Vorspeise genehmigt.«
Die Erben schwiegen beeindruckt. Sogar Marie Luises Miene zeigte so etwas wie Anerkennung.
» Nun erkläre uns endlich deinen Plan«, forderte Alisa sie auf, die es vor Aufregung kaum aushielt. Die drei Freunde waren Dracula schon einmal nahe gekommen, und vermutlich konnten nur sie ermessen, welch große Gefahr es bedeutete, Dracula herauszufordern und sich ihm in den Weg zu stellen. Sie warf einen besorgten Blick zu Tammo und den beiden Pyras hinüber, die das Ganze nur für eine spannende Abwechslung zu halten schienen.
Halte mich nicht für so naiv, Schwesterherz, erklang Tammos Stimme in ihrem Kopf. Es ist uns allen klar, dass er gefährlich ist. Aber ist es deswegen kein großartiges Abenteuer?
Alisa wusste nicht, ob sie das beruhigen sollte. Doch nun begann Ivy zu sprechen und lenkte Alisa von ihrer Sorge ab. Sie lauschte aufmerksam, um ja kein Wort zu verpassen. Hatte sie an alles gedacht? Sie als ihre Freunde mussten nun jedes Detail überdenken und sie rechtzeitig auf eventuelle Schwächen hinweisen.
Doch falls Alisa geglaubt hatte, Ivy würde nun endlich alle Karten auf den Tisch legen, so wurde sie wie alle anderen enttäuscht. Sie gab nur so viel des geplanten Ablaufs preis, dass sie den Erben ihre Aufgaben nennen und ihnen sagen konnte, wann sie wo sein mussten. Wie genau die Falle aussah, die sie ihm zu stellen gedachte, verriet sie nicht. Und es wäre müßig gewesen, auch nur einen Versuch zu starten, in ihren Geist einzudringen und ihre Gedanken zu lesen.
Das siehst du ganz richtig, Alisa, bestätigte Ivy mit einem Lächeln in der Stimme. Vertraue mir, ich habe alles bedacht. Es wird so ablaufen, wie ich es geplant habe, und niemand muss dabei zu Schaden kommen.
Außer Dracula!
Ja, außer Dracula. Er hat es sich selbst zuzuschreiben. Niemand wollte ihm schaden, wenn er in seiner Karpatenfestung bliebe und die Clans in Ruhe ließe.
Alisa nickte . Ja, vermutlich hast du recht. Es ist dein Geist und dein Leib, den er bezwingen will. Also ist es dein Recht, dich seinen Plänen zu verweigern und dich vor ihm zu schützen.
Ich schütze nicht nur mich, erinnerte Ivy. Ich schütze euch alle, auch wenn die Gefahr für euch und eure Clans noch nicht so unmittelbar ist. Würde es ihm erst einmal gelingen, mit meinem Blut die Nachkommen zu zeugen, die er sich wünscht, wäre es für euch vermutlich schon zu spät.
Alisa lächelte zu Ivy hinüber. Ich sehe ein, dass es sein muss, und ich bin an deiner Seite oder wo du mich haben willst!
Karl Philipp unterbrach ihr stummes Zwiegespräch. » Habe ich das vorhin richtig verstanden? Du brauchst uns, um Erde zu schaufeln?«
Die Abscheu in seinem Gesichtsausdruck hätte Alisa vielleicht amüsiert, würde es nicht um eine so ernste Sache gehen.
» Hast du wieder nicht zugehört?«,
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