Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
das Tau, dann sind wir bald an Bord.
Wie gelassen ihre Stimme klang, obwohl sie in den aufgewühlten Fluten um ihr Leben zu schwimmen schien. Nun hatte sie Seymour erreicht und schlang das Seil um seinen Leib.
Danke, Schwester.
Ich kann nicht sagen, gern geschehen!, gab sie kalt zurück. Eigentlich hätte ich dich deinem Schicksal überlassen sollen, und es wäre deine eigene Schuld gewesen, wenn du wie ein Hund ersoffen wärst. Aber das hätte Tara mir nicht verziehen.
Seymour zuckte zusammen. Doch bevor er etwas antworten konnte, ließ sie ihn und das Seil los und war Augenblicke später bereits weit abgetrieben. Entsetzt sah Bram, wie Ivy unter einer sich überschlagenden Woge verschwand. Die Mädchengestalt tauchte nicht wieder auf. Sosehr er sich bemühte, er konnte sie nicht entdecken. Nein, das konnte nicht sein. Ivy würde nicht ertrinken. Sie war eine Vampirin, der einfach alles möglich war!
Nun übertreibe nicht so. Vieles, nicht alles, korrigierte ihn eine bekannte Stimme in seinem Kopf, dass er vor Erleichterung fast aufgeschluchzt hätte.
Eine Möwe schwamm in den Fluten, entfaltete ihre Schwingen und erhob sich in die Luft. Kurz darauf landete der Vogel neben der Taurolle. Aus einem Nebelwirbel erhob sich Ivy und griff nach dem Seil. Zusammen schafften sie es schnell, Seymour bis an den Rumpf des Schiffes und dann bis hinauf zur Reling zu ziehen. Mit letzter Kraft schwang er sich über die hölzerne Brüstung. Triefnass und schwer atmend saß der Werwolf auf den Planken. Ein zerlumpter Kittel und Hosen, die kaum mehr waren als Lumpen, klebten an seinem ausgemergelten Körper. Aus seinem struppig weißen Haar troff Salzwasser.
» Willkommen an Bord«, begrüßte ihn Bram und streckte ihm die Hand hin, zog sie dann aber unter dem wilden Blick hastig wieder zurück.
» Geht es Ihnen gut?«
Ivy antwortete an seiner statt mit einer wegwerfenden Handbewegung. » Ein Werwolf ist robust. Er wird sich schnell wieder erholen.«
» Wie fürsorglich, liebe Schwester«, knurrte er und schüttelte sich, dass das Wasser nach allen Seiten spritzte.
» Ich habe dich nicht gebeten, mir zu folgen. Ich habe mir sogar alle Mühe gegeben, dich abzuschütteln«, gab Ivy spitz zurück.
» Das hast du«, bestätigte der Werwolf, » nur leider ohne Erfolg. Genauso wie ich ohne Erfolg zu verhindern suchte, dass du Irland verlässt.« Er seufzte tief. » Nun gut, dann muss ich eben in London aufpassen und hoffen, dass es mir gelingt, jeden Schaden von dir fernzuhalten.«
Zum ersten Mal trat ein weicher Zug in Ivys Miene. » Ach Seymour, als ob dies in deiner Macht stünde. Pass lieber auf, dass dir selbst nichts passiert. Zum Beispiel, dass du entdeckt und als blinder Passagier über Bord geworfen wirst. Ich nehme an, du hast für heute genug Meerwasser geschluckt.«
Seymour zog eine Grimasse. » Das kann man wohl sagen.«
*
Latona stand im Dunkeln und sah aus dem Fenster. Sie blickte über den frisch grünen Rasen mit seinen gepflegten Rosenbeeten, der das Schulgebäude bis zu den grauen Mauern hinüber umgab. Sie betrachtete die alten mächtigen Bäume, die vielleicht schon gepflanzt worden waren, als dieses Gebäude noch ein Kloster gewesen und Nonnen wie stille Schatten durch die Gänge gehuscht waren. Das war lange her. Es musste in der Zeit gewesen sein, bevor sich die Tudors die Königswürde angeeignet hatten, bevor Heinrich VIII . sich von der katholischen Kirche und vom Papst losgesagt, seine eigene Kirche gegründet und sich selbst zum Oberhaupt ernannt hatte. Und das alles, weil er nicht die Frau heiraten durfte, die er liebte: Anne Boleyn. Genauer gesagt, weil der Papst nicht in die Scheidung von seiner ersten Frau Katharina von Aragón einwilligte. Das klang sehr romantisch, aber Latona gab sich nicht der Illusion hin, er habe aus Liebe gehandelt. Immerhin bekam Heinrich VIII . auch von seiner zweiten Frau recht schnell genug und ließ sie im Tower hinrichten, um Ehefrau Nummer drei ehelichen zu können. Nein, die Trennung von Papst und katholischer Kirche war ein kluger Schachzug der Macht gewesen, um alle Klöster aufzulösen und sich die riesigen Ländereien anzueignen, die er dann an den neuen Adel verteilen konnte, der seinem König dafür zum Dank treu zur Seite stand. So war es auch diesem Kloster außerhalb der altehrwürdigen Stadt Oxford ergangen und statt der schweigsamen Nonnen von damals liefen nun schnatternde Mädchen und streng dreinblickende Lehrerinnen durch die Klostergänge. Es
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