Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
aus.
Ob das den Vyrad beeindruckte, ließ er sich nicht anmerken. » Es ist weder meine Aufgabe noch mein Wunsch, dich nach Irland zu schicken«, gab Lord Milton mit unbewegter Stimme zurück. Es steht dir frei, dich nach Belieben in London aufzuhalten.«
» Und innerhalb der Mauern des Temple ? Ich sehe hier unter Euren Gästen keineswegs nur Vampire reinen Blutes aller Clans. Sie sind wie jedes Jahr mit ihren Begleitern angereist.«
Sie schwiegen eine Weile und maßen einander mit Blicken, in denen Stärke und Unnachgiebigkeit zu lesen waren. Ivy konnte dem Lord nur Respekt zollen. Sie hatte einen würdigen Gegner gefunden. Endlich hoben sich die Mundwinkel des Vyrad ein wenig.
» Ja, die Erben werden stets von Servienten begleitet, und obgleich es mir lieber wäre, sie würden die ihnen gestellten Aufgaben ohne deren Hilfe lösen, so liegt es mir doch fern, sie voneinander zu trennen oder gar zu kontrollieren, wer seine Schützlinge bei den Ermittlungsaufgaben begleitet.«
» Dann wäre es Euch also gleichgültig, wenn eine Lycana unreinen Blutes an Mervyns Seite bliebe?«
» Die Erben sind frei in der Wahl ihrer Begleitung. Ich kann nur keine Unreinen in die Akademie aufnehmen.«
Ivy nickte. » Schön, dann will ich Mervyn gern zur Seite stehen. Sicher habt Ihr noch eine Kammer mit einem Sarg, in die ich mich mit Seymour am Morgen zurückziehen kann?«
Der Lord machte eine lässige Handbewegung. » Aber ja. Die Kanzleien hier im Temple Inn Court sind zwar sehr begehrt und stets belegt, aber wir haben nicht mehr so viele Studenten hier, sodass du bei den anderen Gästen im Südflügel am Essex Court etwas finden solltest. Hector kann dich hinbringen und dir und deinem Wolf eine Kammer zeigen.«
Ivy deutete einen Knicks an. » Ich danke Euch, Lord Milton, und nun will ich Euch nicht länger von Eurem Plädoyer abhalten.«
Draußen auf dem Gang wartete der junge Unreine auf sie, der sie– wie versprochen– zu einer Kammer unter dem Dach führte, dort wo auch die anderen Servienten der Erben untergebracht waren.
Ivy sah sich kurz in der einfach eingerichteten Kammer um und kehrte dann in den Hof zurück, um sich innerhalb der Tore des Temple ein wenig umzusehen. Sie schritt zwischen den strengen Backsteingebäuden über stille Innenhöfe und atmete die Luft der jahrhundertelangen Geschichte ein. Einst war dies geheiligter Boden gewesen. Schon merkwürdig, dass sich die Vyrad ausgerechnet hier niedergelassen hatten. Sogar eine Kirche nannten sie ihr eigen! Ivy ging auf den ungewöhnlichen Kirchenbau zu und blieb dann unvermittelt stehen. Sie konnte die starke Schwingung spüren, die die Segnung und die Gebete der Tempelritter zurückgelassen hatten. Aber da war noch etwas anderes, das sie anzog und gleichzeitig abstieß. Ivy trat auf den von einer Vorhalle überwölbten Westeingang zu und ließ ihren Blick über den mächtigen, aus kunstvoll verzierten Archivolten bestehenden Rundbogen zum Portal gleiten. Sie legte ihre Handflächen auf die Flügel des schweren Holztores, als sie im Innern Schritte vernahm. Ganz deutlich hallten sie im Gewölbe des Kirchenschiffs wider.
Konnte das ein Vampir sein? Unwahrscheinlich. Dann drang die unverwechselbare Witterung eines Menschen durch die Ritzen. Der Mann näherte sich dem Portal. Ivy wich zurück. Sie eilte die steinernen Stufen zu dem höher gelegenen Platz hinauf und zog sich in den Schatten des säulengestützten Gewölbes zurück, das den Kirchplatz von dem Hof mit der Pumpe trennte. Von dort beobachtete sie, wie das Portal aufgestoßen wurde und ein Mann heraustrat, den eindeutig die warme Aura eines Menschen umgab. Er ging ein wenig gebeugt, mit schlurfendem Schritt. Sicher war er nicht mehr der Jüngste. Seine Kleidung war die eines Geistlichen. Ohne sich umzusehen, überquerte er den Hof und strebte auf das nächstliegende Tor zu, durch das er den Bereich des Temple verlassen und in die City of London gelangen würde. Er war tief in seine Gedanken versunken. Ivy konnte nicht einen Hauch von Furcht spüren. Ahnte er nicht, dass er hier von Vampiren umgeben war? Offensichtlich nicht! Sein Gott und all die Heiligen hatten es unterlassen, ihn vor der Gefahr zu warnen. Oder waren die Vyrad gar keine Gefahr für ihn? Sie schienen ihn unter sich zu dulden. Vielleicht war es gar in ihrem Sinn, dass sich der Geistliche um die alte Templerkirche kümmerte, die keine Gemeinde besaß, die am Sonntag zum Gottesdienst kam, keine Taufen oder Vermählungen und nicht
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