Die Erben der Schöpfung
Hände vors Gesicht. Er spürte das Gewicht von Mercers Leben auf seinen Schultern und war zu müde, zu erschüttert und zu traurig, um noch logisch zu denken. Nachdem er die Schuldgefühle wegen Mercers Tod niedergerungen hatte, wandte er sich an die anderen. »Können wir ihn zurücktragen?«
Sie nickten, und die fünf traten den langen Heimweg an. So müde er auch war, Jeremy wollte um keinen Preis noch eine Nacht im Regenwald verbringen, ja er gestand sich nicht einmal ein, dass ihn unbewusst die Angst plagte, Stiles könne womöglich inzwischen ein ähnliches Schicksal ereilt haben.
35
Paulo, Jamie, Stiles und Sameer schöpften neue Kraft daraus, dass sie wieder zusammen waren, und ihre wiedergewonnene Zielstrebigkeit äußerte sich in frischer Energie, Motivation und Geschwindigkeit. Sie machten nur eine kurze Mittagspause, da sie möglichst unverzüglich den Schimpansen aufspüren wollten. Das Funksignal wurde immer stärker, und das hieß, dass sie fast am Ziel waren.
Beim Essen studierte Paulo die Landkarte. Nachdem er ihre neuen Koordinaten auf der Karte gefunden hatte, sondierte er das Terrain und orientierte sich anhand der landschaftlichen Gegebenheiten. Jamie setzte sich neben ihn.
Ungefragt begann Paulo, den anderen seine Überlegungen zu erläutern, und zeigte dabei immer wieder auf die Karte. »Wenn ich unsere Position korrekt bestimmt habe, müssten wir genau hier sein und verfolgen das Signal in diese Richtung weiter.« Er fuhr mit dem Finger über die relativ spärlichen Höhenlinien zu einem breiten blauen Band auf der Karte.
»Du meinst, wir gehen auf einen Fluss zu?«, fragte Jamie erstaunt.
Paulo nickte. »Genau. Allerdings ist schwer zu sagen, wie akkurat diese Karten sind. Und die Wasserstände schwanken dermaßen mit den Jahreszeiten, dass die Nebenflüsse enorm viel breiter oder schmaler werden oder zu bestimmten Zeiten sogar ganz verschwinden können. Der Fluss hier sieht relativ breit aus, und wir werden wahrscheinlich auf ein großes Gewässer stoßen. Vermutlich können die Schimpansen nicht hinüber.«
»Deshalb sind wir ihnen also mittlerweile so nahe gerückt. Die Schimpansen sind am Wasser angelangt und kommen nicht weiter.« Sameer und Stiles hörten, was Jamie sagte, und kamen herüber.
»Dann haben die Schimpansen wohl an einem Fluss Halt gemacht?«
»So sieht es jedenfalls aus«, antwortete Paulo.
Sameer freute sich. »Das ist ja toll. Dann haben wir gute Chancen, sie am Boden zu erwischen. Bestimmt kommen sie zum Trinken nach unten, wenn es so viel Wasser gibt.«
Stiles grinste sarkastisch. »Deine Tage sind gezählt, Kenneth.«
Erneut ergriff Sameer das Wort. »Das Wichtigste ist, dass wir uns ihnen vorsichtig nähern. Wir wollen sie ja nicht aufschrecken, wenn sie am Boden sind.«
Stiles’ Miene wurde ernster. »Eigentlich fürchte ich eher, wir könnten die von Soliton engagierten Gangster auf uns aufmerksam machen. Wir sollten auf jeden Fall die Waffe griffbereit halten«, sagte er und zeigte auf Paulos Pistole. »Womöglich sind sie uns schon dicht auf den Fersen, bevor wir die Schimpansen haben.«
Paulo nickte. Alle vier setzten ihre Rucksäcke wieder auf und marschierten weiter.
Ayala hielt die Antenne locker in der Hand und kontrollierte das Signal ihres Zielobjekts. Sie horchte jetzt regelmäßig und gab die Antenne nicht mehr aus der Hand. Die Jagd hatte begonnen, und sie wussten alle drei, dass sie den Schimpansen jede Minute entdecken konnten.
»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte Carlos auf einmal.
Ayala und Susan blieben stehen, um zu lauschen.
Ayala bemerkte seine Miene und runzelte ebenfalls die Stirn. »Ein Fluss. Sie haben recht. Hoffen wir, dass es den Affen schwerer fällt, ihn zu überqueren, als uns. Wenn das Blätterdach hinüberreicht, haben sie eventuell eine natürliche Brücke.«
Nach weiteren fünfzehn Minuten hatten sie den Wassersaum erreicht. Erleichtert stellte Ayala fest, dass der Fluss gut fünfzig Meter breit war. An jedem Ufer wuchsen Bäume, deren Stämme im Wasser standen. In der Mitte schuf der Fluss jedoch eine saubere Trennlinie und bildete eine unüberwindliche Wasserbarriere, die den Wald säuberlich in zwei Hälften teilte. Carlos grinste breit, während Ayala ihre Koordinaten überprüfte.
Das Signal war schwächer geworden. Sie hob die Antenne langsam über ihren Kopf und konzentrierte sich auf das hörbare Pulsieren. Ein klar erkennbares Maximum ertönte aus der Antenne, als sie in schiefem Winkel ins
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