Die Erben der Schwarzen Flagge
beherbergen. Weder gab es Glas vor dem Fenster noch Läden, nur einen Vorhang aus speckigem Leder. Die schwüle Hitze war unerträglich, die Luft erfüllt vom Lärm der Straße, von beißendem Gestank und Schwärmen von Moskitos. Fünf Tage saß Elena nun bereits in ihrem engen, heißen Gefängnis. Fünf Tage, in denen sie unzählige Male bereut hatte, nach ihrem Quartier verlangt zu haben. Fünf Tage, in denen sie Nick Flanagan tausendmal verflucht hatte – und mindestens ebenso oft hatte sie über seine Worte nachgedacht. Widerwillig hatte sie sich eingestehen müssen, dass der junge Pirat wohl nicht ganz Unrecht hatte mit dem, was er sagte. Aber das änderte nichts daran, dass er ein Gesetzloser war und auf der falschen Seite stand. Ihr Vater und die Seinen hingegen vertraten Recht und Gesetz.
»Ja?«
Die Tür der Kammer wurde geöffnet. Als Elena Pater O’Rorke erblickte, entkrampfte sie sich innerlich. Noch immer saß ihr der Schrecken jener Nacht auf dem Schiff in den Gliedern, und sie zuckte zusammen, wann immer es an ihre Tür klopfte. Zwar hatte Nick Flanagan versprochen, sie zu beschützen, aber was bedeutete das schon? Er war nur ein Pirat, nichts weiter …
»Darf ich hereinkommen, Mylady?«, fragte der Mönch mit höflicher Verbeugung, die angesichts der schäbigen Umgebung fehl am Platz wirkte. Er wartete auch nicht erst ab, bis Elena zustimmte, sondern trat einfach ein, das übliche rätselhafte Lächeln auf seinen von Sonne und Wind (und Rum, wie Elena vermutete) geröteten Zügen.
»Ich hoffe, Pater, Ihr seid gekommen, um mir mitzuteilen, dassdas Lösegeld eingetroffen ist und ich in den nächsten Tagen nach Hause segeln kann.«
»Ich bedauere, mein Kind.« O’Rorke schüttelte den Kopf. »So gern ich Euch diese Nachricht überbringen würde, ich kann es nicht. Noch immer ist keine Kunde aus Maracaibo eingetroffen.«
»Aber das ist unmöglich!«, ereiferte sich Elena. »Mein Vater muss inzwischen von meiner Entführung erfahren haben, und er wird alles unternehmen, um mich wohlbehalten zurückzubekommen.«
»Das will ich gern glauben.« Der Mönch nickte. »Gebt die Hoffnung nicht auf, mein Kind. Es wird alles gut werden.«
»Und wenn nicht?«, fragte sie. »Was wird geschehen, Pater, wenn das Lösegeld nicht eintrifft?«
»Haltet Ihr das denn für möglich?«
»Ich weiß es nicht … Es ist ein weiter Weg von Maracaibo hierher. Viel kann unterwegs geschehen.«
»Fürwahr.« Der Pater nickte. »Aber ich gehe davon aus, dass Euer Vater sicherstellen wird, dass das Lösegeld seinen Bestimmungsort in jedem Fall erreicht. Er wird das Leben seiner einzigen Tochter nicht leichtfertig aufs Spiel setzen wollen – oder? «
Das letzte Wort hatte forschend geklungen. Fragend blickte O’Rorke Elena an, und einmal mehr hatte die junge Frau das Gefühl, dass sie der Mönch bis ins Mark durchschaute.
»Was meint Ihr damit, Pater?«
»Ich frage mich nur, ob es noch einen anderen Grund dafür geben könnte, dass das Lösegeld noch nicht eingetroffen ist.«
»Wovon sprecht Ihr?«
»Das fragt Ihr mich, Mylady? Ihr kennt Euren Vater besser als ich. Gehört er zu jenen Menschen, die ihre Prinzipien vernachlässigen, wenn es darum geht, ihr leibliches Kind zu retten? Oderwird er lieber Euer Leben aufs Spiel setzen, als gemeinen Piraten fünfzigtausend Dublonen in den Rachen zu werfen?«
Elenas bestürzter Miene war anzusehen, dass auch sie sich diese Frage gestellt hatte. Aber schon im nächsten Augenblick schlug ihre Sorge in pure Empörung um.
»Was fällt Euch ein, Pater?«, rief sie laut. »Wollt Ihr an der Fürsorge meines Vaters zweifeln? Wollt Ihr einen Keil zwischen ihn und mich treiben? Glaubt Ihr, ich erkenne nicht, was Ihr im Schilde führt? Es genügt, wenn Nick Flanagan sein Gift verspritzt und seine Lügen verbreitet. Fangt Ihr nicht auch noch damit an!«
»Nick hat Euch belogen?«
»Allerdings. Er hat mir Dinge über meinen Vater erzählt, die nie und nimmer der Wahrheit entsprechen können.«
»Weshalb nicht?«
»Weil mein Vater ein Ehrenmann ist. Dinge wie jene, derer Nick Flanagan ihn bezichtigt, würde er niemals tun.«
»Seid Ihr davon wirklich überzeugt, Mylady? Oder seht Ihr nur, was Ihr sehen wollt?«
»Was erwartet Ihr von mir, Pater?« Elenas Brust bebte vor Zorn. »Dass ich meinen eigenen Vater verrate? Dass ich ihn der Lüge verdächtige, ohne ihn jemals selbst befragt zu haben?«
»Ich erwarte nur, dass Ihr die Augen öffnet. Ihr seid eine kluge junge Frau, Doña
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