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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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für Euch, Mylady, ich bitte Euch«, wiederholte O’Rorke. »Und nutzt es weise, darum bitte ich Euch ebenso. Gott segne Euch, mein Kind – und er lasse Euch erkennen, was rechtens ist.« Der Pater verbeugte sich, machte kehrt und verließ die Kammer so unvermittelt, wie er sie betreten hatte.
    Die Condesa blieb allein zurück, inmitten des Scherbenhaufens, den er hinterlassen hatte. Die Bestürzung war ihr ins Gesicht geschrieben, und ein Teil von ihr wehrte sich dagegen zu glauben, was O’Rorke ihr berichtet hatte. Andererseits hatte der Pater seine Worte bei der Heiligen Schrift beschworen – und welche Gründe sollte er haben, Elena zu belügen? Hatte Nick Flanagan am Ende Recht gehabt? War sie schon wieder dabei, nach dem bequemen, dem einfachen Weg zu suchen?
    Zaghaft griff sie nach dem Schleier, der den Blick auf die Wahrheit verdeckte und den sie bislang sorgsam geschlossen gehalten hatte aus Furcht, dass sich alles, woran sie fest und unbeirrt geglaubt hatte, verändern könnte.
    Und sie merkte, wie ihr Weltbild ins Wanken geriet.Der Anblick war bedrückend.
    Als sich Cutlass Joe der Festung näherte, die am östlichen Ende Port Royals zwischen den Klippen thronte und mit trutzigen, kanonenstarrenden Mauern auf die See blickte, konnte er schon von weitem die Leichen sehen, die von den Zinnen baumelten. Nach britischer Art hatte man die armen Teufel in Käfige gesteckt und ließ sie in der Hitze verrotten. Krähen und Möwen taten sich an ihnen gütlich und flatterten kreischend auf, wenn sich jemand über die schmale Straße näherte, die von Port Royal heraufführte.
    Cutlass stieß eine leise Verwünschung aus. Auf See bestattet zu werden wie ein anständiger Fahrensmann war etwas, das man auch von seinen Feinden erwarten konnte. Die Briten jedoch waren da anderer Ansicht, und Bricassart schien ihre Methoden übernommen zu haben. Joe nahm an, dass es ehemalige Feinde des Piratenführers waren, deren Gebeine dort verfaulten. Indem er sie offen verrotten ließ, machte Bricassart klar, dass er der uneingeschränkte Herrscher über Port Royal war – und das wiederum imponierte Cutlass Joe. Und es bestärkte ihn in seinem Entschluss, Bricassarts Bruderschaft beizutreten …
    »Stehen bleiben«, wiesen ihn die beiden grobschlächtigen Kerle an, die ihn zusammen mit einigen anderen, die sich Bricassarts Haufen anschließen wollten, von der Stadt heraufgeführt hatten. Es waren allesamt Männer, die nichts zu verlieren hatten: entlaufene Häftlinge, Deserteure und flüchtige Mörder. Einer, der nicht nach den Regeln gespielt hatte und von seinem Käpt’n verstoßen worden war, passte gut dazu. Die Schmach, die Nick Flanagan Cutlass Joe zugefügt hatte, saß tief. Joe brannte darauf, nach Tortuga zurückzukehren, möglichst als Kapitän eines eigenen Schiffes, und es ihm heimzuzahlen.
    Alles zu seiner Zeit …
    Jeweils einmal in der Woche fanden sich jene, die Bricassarts Meute beitreten wollten, im Scallywag ein, einer üblen Spelunke am Kai. Sie wurden dann abgeholt und hinauf in die Festung gebracht, wo Bricassart sie musterte. Wer für geeignet befunden wurde, der konnte bleiben. Wer nicht, der wurde um den Mast geschickt und so lange mit Hieben malträtiert, bis er zusammenbrach. Das Risiko war groß, dennoch fanden sich Woche für Woche genügend Männer, die bereit waren, es einzugehen. Schließlich winkten satte Prisen und jede Menge Rum …
    Die Torflügel der Festung wurden geöffnet, das schwere Fallgitter mit lautem Rattern nach oben gezogen. Noch mehr von Bricassarts Leuten kamen, die den Bewerbern die Waffen abnahmen. Mürrisch gab Cutlass Joe ihnen seinen Säbel und seine Pistole. Ohne seine Waffen fühlte er sich schutzlos und nackt, aber wenn es half, bei Bricassart unterzukommen und sich an Nick Flanagan zu rächen, nahm er auch das in Kauf.
    Man führte sie in den Innenhof der Festung, die von Henry Morgan erbaut worden war. In seinen letzten Jahren hatte der einst berüchtigte Freibeuter der britischen Krone mehr oder minder bereitwillig gedient und war damit bei den übrigen Seeräubern in Ungnade gefallen. Nach seinem Tod hatten die Rivalen die Herrschaft über Port Royal an sich gerissen, und Bricassart hatte sich als der Ruchloseste unter ihnen erwiesen. Nacheinander hatte er seine Konkurrenten aus dem Weg räumen lassen, und nun war es sein Jolly Roger, der über der höchsten Zinne im Wind flatterte.
    Man hieß die Bewerber, sich in einer Reihe aufzustellen. Die Männer murrten –

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