Die Erben der Schwarzen Flagge
meinen eigenen Sohn zu schicken, auf dass er Eure Tochter befreit und Euch den Kopf Eures Erzfeindes bringt. Aber Ihr schämt Euch, mit mir an einer Tafel zu sitzen, n’est-ce pas? «
»Seid nicht albern«, versuchte Navarro mit unverbindlichem Lächeln abzuwehren, aber es war offensichtlich, dass Bricassart seinen Gast durchschaute.
»Bildet Euch nur nicht zu viel ein, Navarro. Äußerlich mögen wir uns unterscheiden, aber was unsere Ziele betrifft und die Art und Weise, wie wir sie durchsetzen, sind wir uns sehr ähnlich.«
»Glaubt Ihr das wirklich?« Navarro konnte den Spott in seiner Stimme kaum verbergen.
»Gewiss. Wir beide sind es gewohnt, nach Vollendung zu streben. Wir wollen das bestmögliche Ergebnis, den größten Teil der Beute. Wir sind kluge Taktierer und halten mit unseren wahren Zielen hinter dem Berg. Und wir haben keine Skrupel, uns zu nehmen, wonach wir begehren. Glaubt Ihr denn, es machteinen Unterschied, ob Ihr von Eurem Schreibtisch aus Anweisungen erteilt oder ob ich die Leviathan entsende? Auch ich beschmutze meine Hände längst nicht mehr, wenn es ans Morden geht, Navarro, dennoch klebt an ihnen ebenso viel Blut wie an Euren.«
»Das ist Eure Ansicht«, versetzte der Graf gereizt. »Aber ich versichere Euch, dass Ihr Euch irrt, denn die Unterschiede zwischen uns könnten nicht größer sein. Ihr habt nur aus einem einzigen Grund in unser Bündnis eingewilligt – um Euren Besitz zu vergrößern und die Schatzkammern dieser Festung mit immer noch mehr Gold und Silber zu füllen. Ich hingegen verfolge einen weitaus größeren und ehrgeizigeren Plan.«
»Ist das wahr?« Bricassart grinste breit, das rote Auge leuchtete wissbegierig. »Und worin besteht dieser Plan, wenn es erlaubt ist zu fragen?«
Der Conde begriff, dass er einen Fehler begangen hatte. Bricassart hatte ihn provoziert, und er war ihm in die Falle gegangen wie ein unerfahrener Jüngling, der von den Fallstricken der Diplomatie nicht die geringste Ahnung hatte – dabei war es gewöhnlich Navarro, der sie auslegte und die Beute erntete, die sich darin verfing.
»Nun«, erwiderte er in dem Versuch zu retten, was noch zu retten war, »ich nehme an, dass jeder von uns seine Pläne verfolgt, nicht wahr? Ihr werdet wissen, was Ihr wollt, und ich weiß genau, was ich will.«
»Und das ist?«, hakte der Commodore nach.
»Zuvörderst will ich meine Tochter zurück«, sagte Navarro und prostete Bricassart abermals zu, aber der ging nicht darauf ein, sondern starrte sein Gegenüber nur weiter mit dem glühenden Auge an.
»Außerdem«, fühlte sich Navarro genötigt hinzuzufügen,»möchte ich ein mächtiger und wohlhabender Mann werden, genau wie Ihr.«
»Mächtig und wohlhabend seid Ihr bereits, werter Conde. Worum geht es Euch wirklich? Was ist einem Mann von Eurer Herkunft und Eurem Stand so wichtig, dass er bereit ist, dafür alles zu wagen und gemeinsame Sache mit meinesgleichen zu machen?«
»Was kümmert es Euch?«, hielt Navarro dagegen. »Ist unser Abkommen nicht zu beiderseitigem Vorteil? Frage ich Euch, was Ihr mit dem Reichtum vorhabt, den Ihr aus unserem Handel gewinnt?« Er setzte ein entwaffnendes Lächeln auf, das seine Wirkung jedoch kläglich verfehlte.
»Spart Euch Eure diplomatischen Schliche, bei mir verfangen sie nicht«, wies Bricassart ihn brüsk zurecht. »Glaubt Ihr im Ernst, ich hätte keine Erkundigungen über Euch eingezogen? Haltet Ihr mich wirklich für so dumm, einem Mann zu vertrauen, nur weil er mir ein Vermögen in Aussicht stellt?«
»Nun, ich …«
»Ihr überschätzt meine Gier, Navarro – und Eure Schlauheit ebenso. Ich weiß alles über Euch, vermutlich mehr, als Ihr selbst Euch einzugestehen bereit seid.«
»So?« Der Wein aus Andalusien schmeckte plötzlich schal und bitter auf Navarros Zunge. »Und was genau wisst Ihr über mich?«
»Ich weiß, dass Ihr nicht aus Zufall in die Kolonien geschickt wurdet. Ihr habt am spanischen Hof gegen Vertraute des Königs intrigiert, und das hat man Euch übel vermerkt. Da in Anbetracht Eures Einflusses beim Adel eine Entrechtung nicht in Frage kam, verfiel der gute König Carlos auf den Gedanken, Euch mit einem Lehen in den Kolonien zu bedenken. Die Wahl fiel auf Maracaibo, weil es sich im unmittelbaren Einflussbereich des Vizekönigs in Cartagena befindet. Auf diese Weise hoffte man, Euchkontrollieren zu können, was freilich ein Irrtum war. Verschlagen und mächtig, wie Ihr seid, habt Ihr schon bald damit begonnen, eigene Pläne zu
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