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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Auf den ersten Blick unterschied sich Port Royal in nichts von Cayenne oder anderen Hafenstädten, in denen sich Seeräuber tummelten – wäre da nicht die Festung gewesen, die trutzig oberhalb der Ortschaft thronte und die Bucht überblickte. Von den zackenförmig ausgebauten Festungsmauern starrten unzählige Kanonen, und über den Zinnen wehte Bricassarts schwarze Flagge.
    »Alle Wetter!«, entfuhr es Nobody Jim. »Was für ein Riesending! Dagegen nimmt sich Navarros Festung wie eine Sklavenhütte aus.«
    Damit hatte der Afrikaner nur zu Recht – aber die drohenden Festungsmauern waren nicht das Einzige, was Nick Sorgen bereitete. Auch die Anzahl der Schiffe, die in der Bucht vor Anker lagen und zu Bricassarts Armada gehörten, war beängstigend: Galeonen und Fleuten waren zu sehen, dazu mehrere Zweimaster, die die Piraten für kleinere Überfälle benutzten. Auf der anderen Seite der Bucht ankerte eine übergroße Pinasse, die schwarz und unheimlich im Wasser lag und das einfallende Mondlicht zu schlucken schien.
    »Die Leviathan «, flüsterte Nick und merkte, wie sein Pulsschlag zu hämmern begann und die notdürftig verheilte Wunde an seiner Schulter plötzlich wieder schmerzte.
    Erinnerungen an Tortuga wurden wach, an die Nacht des Überfalls. Diesmal, dachte Nick, war Bricassart derjenige, der im Schlaf überrascht würde. Nick brannte darauf, die Klinge mit dem Schurken zu kreuzen und Revanche für die schmachvolle Niederlage zu üben. Und er konnte es kaum erwarten, Elenawiederzusehen. Nick hoffte nur, dass sie wohlauf und am Leben war – und dass Bricassart mit ihrem störrischen Wesen nicht viel Freude gehabt hatte.
    Unvermittelt machte der Chinese, der ganz vorn im Netz hockte, durch heftige Gesten auf sich aufmerksam.
    »Was ist?«, fragte Nobody Jim.
    »Er sorgt sich, weil wir an Höhe verlieren«, erklärte Pater O’Rorke, der im Lauf vieler Jahre gelernt hatte, die Zeichensprache des Asiaten zu deuten. »Die Luft im Flugkörper hat sich abgekühlt. Er meint, wir sollten das Bugfeuer entzünden, um sie wieder anzuheizen.«
    »Nein«, entschied Nick kurzerhand. »Der Wind steht günstig. Wenn wir uns vom Zugseil losschneiden, sobald wir die Klippe passiert haben, müsste der Auftrieb noch genügen, um uns bis zur Festung zu tragen. Wenn wir das Bugfeuer entzünden, ziehen wir nur die Aufmerksamkeit der Wachen auf uns.«
    Der Chinese machte darauf ein verkniffenes Gesicht, widersprach aber nicht. Auch ihm war klar, was geschehen würde, wenn die Festungswachen sie entdeckten – ohne Schusswaffen unterhalb des leuchtenden Flugkörpers hängend, waren sie feindlichen Kugeln schutzlos ausgeliefert. Zudem würde das Luftschiff, wenn es erst von Blei durchsiebt war, rasch an Höhe verlieren und abstürzen.
    Es galt also, alles auf eine Karte zu setzen. Der Einsatz war hoch, aber keiner von ihnen hatte erwartet, dass es einfach oder gar ungefährlich sein würde, Bricassart zu überrumpeln. Angespannt krallten sich die Männer in das Netz und warteten darauf, dass die Klippe näher kam und sie sich vom Zugschiff lösen konnten.
    Aber anstatt näher zu kommen, blieb die Klippe weiter auf Distanz. Der Fliegende Drachen war merklich langsamer geworden,während die Prosecutor und ihre Begleitschiffe auf die Hafeneinfahrt zuhielten – wie war das möglich?
    Nobody Jim war der Erste, der begriff, was geschehen war. »Er hat das Seil durchgeschnitten«, entfuhr es ihm heiser. »Dieser Mistkerl von Scarborough hat das Seil durchgeschnitten!«
    Nick streckte sich im Netz und griff nach dem Zugseil, holte es in Windeseile ein – nur um zu sehen, dass sein Freund Recht hatte: Das Ende des Taus war nicht etwa gerissen, sondern wies einen glatten Schnitt auf.
    »Verdammt«, entfuhr es ihm. »Was …«
    »Das bedeutet wohl, dass Scarborough nicht vorhat, sich an eure Abmachung zu halten«, beantwortete Pater O’Rorke die Frage, noch ehe Nick sie überhaupt ausgesprochen hatte. Mit versteinertem Gesicht deutete der Mönch nach unten, und Nick begriff, was er meinte.
    Statt sich im Schatten der großen Klippe zu verbergen, die im unteren Drittel einen Überhang besaß und ein ideales Versteck geboten hätte, ließ Scarborough sein Geschwader auf die Hafeneinfahrt zusteuern. Er machte keine Anstalten, beizudrehen oder die Richtung zu ändern, ganz im Gegenteil: Statt sich mit gereffter Takelage anzupirschen und auf das Angriffssignal zu warten, hatte Scarborough alle Segel setzen lassen. In pfeilförmiger Formation

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