Die Erben der Schwarzen Flagge
blickten an dem straff gespannten Seil empor, das sich im dunklen Nachthimmel verlor.
»Was denkt Ihr, Benson?«, fragte Scarborough.
»Mit Verlaub, Captain – ich denke, dass dieser Flanagan den Mund ziemlich voll nimmt. Seine Art, sich bei der Mannschaft einzuschmeicheln, gefällt mir nicht. Wenn Ihr mich fragt, sollten wir das Tau einfach kappen und ihn und seine Freunde ihrem Schicksal überlassen.«
»Ich frage Euch aber nicht, Lieutenant. Gewiss, Flanagan undseine Leute haben uns auf sicherem Weg nach Port Royal geführt und damit ihre Schuldigkeit getan. Aber ich bin an Admiral Lancasters Befehl gebunden, Flanagan jede Unterstützung zukommen zu lassen.«
»So wollt Ihr Flanagans Plan befolgen? Ihr wollt das Gelingen der Operation von einem Zivilisten und seinem fliegenden Fisch abhängig machen?«
»Drachen«, verbesserte Scarborough mit kaltem Lächeln. »Und ich habe keineswegs vor, Flanagans Plan zu befolgen. Wenn er und seine Kumpane scheitern, wird Bricassart gewarnt sein, und ich habe nicht vor, dies zu riskieren.«
»Aber Admiral Lancasters Befehl …«
»Ich werde mich hüten, einen direkten Befehl des Admirals zu missachten. Aber wer weiß? Möglicherweise hat Flanagan in seiner Unbekümmertheit ein morsches Tau verwendet, das der Belastung nicht standhält und reißt, noch bevor wir Port Royal erreichen.«
Hämisches Grinsen breitete sich über Bensons Züge. »Ich denke, ich habe verstanden, Sir.«
»Zwei Jahre, Benson.« Scarborough schnaubte. »Zwei lange Jahre diene ich schon unter Admiral Lancaster und warte darauf, dass er mir ein Kommando überträgt, das meinen Fähigkeiten gerecht wird. Nun endlich habe ich die Gelegenheit, dem Alten zu beweisen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin, und ich werde nicht zulassen, dass ein Hochstapler mich ruiniert. Wenn die Schlacht um Port Royal geschlagen ist, Lieutenant, so wird man nur einen Namen in Erinnerung behalten – nämlich Vincent Scarborough.«
»Und Nick Flanagan?«
»Von wem sprecht Ihr?« Der Captain hob die Brauen. »Etwa von dem Idioten, der sich einbildete, fliegen zu können, und mitMann und Maus im Meer ertrunken ist?« Scarborough lächelte böse, ehe seine Züge eisern und entschlossen wurden. »Schiff klarmachen zum Gefecht, Benson. Wir haben schon genug Zeit vergeudet …«
10.
W ie im Dämmerzustand setzte Elena de Navarro einen Fuß vor den anderen. Es kam ihr vor, als durchlebe sie einen Albtraum: In dem prunkvollen Hochzeitskleid, dessen reines Weiß an einen Ort wie diesen so gar nicht passen wollte, durchlief sie die finsteren Katakomben der Festung. Dabei hatte sie keineswegs das Gefühl, zu ihrer Vermählung zu schreiten, sondern vielmehr zu ihrer Hinrichtung.
Bei ihr war der Mann, den sie einst von Herzen geliebt hatte und der ihr in den letzten Tagen und Stunden zum Inbegriff des Schreckens geworden war – ihr eigener Vater.
Mit unbewegter Miene, den Blick starr geradeaus gerichtet, führte der Conde de Navarro sie zum Audienzsaal, wo die Zeremonie stattfinden sollte – jene Zeremonie, in der seine Tochter dem ruchlosen Damian Bricassart zur Frau gegeben werden sollte.
Immer wieder redete Elena sich ein, dass es nur ihr Körper war, über den sie gebieten konnten, aber nicht über ihr Herz und ihren Verstand. Sie konnten sie zwingen, Damian zu ehelichen, und er mochte ruchlos genug sein, sie auch im Bett zu seinem Weib zu machen – aber niemals, niemals würde er ihr Herz gewinnen.
Solch trotzige Gedanken im Herzen, folgte Elena ihrem Vater.Ein Teil von ihr wollte noch immer nicht glauben, dass der Conde seine Zustimmung zu dieser schändlichen Verbindung gegeben hatte. Aber das Gesicht des Conde zeigte keine Regung. Wahrscheinlich begriff er nicht einmal wirklich, was er tat. Der Trank des Schamanen hatte auch ihn zu Wachs in Bricassarts Händen gemacht.
»Nun, Vater?«, konnte Elena sich eine beißende Bemerkung nicht verkneifen. »Bist du zufrieden mit dem, was du erreicht hast?«
»Schweig, Tochter. Du weißt nicht, wovon du sprichst.«
»Ach nein? Vergiss nicht – nicht du bist es, der dieses Scheusal heiraten soll, sondern ich. Nicht du wirst ihm in die Ehe gegeben, sondern ich. Und nicht du schuldest ihm als sein Weib Gehorsam, sondern ich.«
»So ist es. Betrachte es als Privileg, meine Tochter.«
»Als Privileg? Ich höre wohl nicht recht.«
»Das Privileg, den Bricassarts zu dienen«, erklärte der Conde. »Jene, denen es zuteil wird, dürfen sich glücklich schätzen.«
»So wie
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