Die Erben der Schwarzen Flagge
Respekt in Cutlass Joes Augen sehen. Der Pirat hatte nicht erwartet, dass sein Gegner seine Haut so teuer verkaufen würde …
»Lasst es gut ein«, versuchte Pater O’Rorke, das bizarre Schauspiel zu beenden. »Ihr habt beide Mut gezeigt und eure Ehre verteidigt. Es muss kein Blut fließen.«
»Bleib mir vom Leib mit deinem Gerede von Nächstenliebe und Vergebung, Pfaffe«, knurrte Cutlass schwer atmend. »Dieser unverschämte Kerl hat mich herausgefordert, und dafür wird er büßen.«
»Was denn, schon außer Puste?«, fragte Nick grinsend. »Du hast es dir wohl einfacher vorgestellt, mich zu besiegen?«
»Es ist einfach genug«, erwiderte der Pirat – und mit einer plötzlichen Bewegung bückte er sich, nahm eine Hand voll Sand auf und schleuderte sie Nick ins Gesicht.
»Dreckskerl!«, schrie Nobody Jim aufgebracht und wollte losstürmen, um sich mit bloßen Fäusten auf den Kapitän zu stürzen. Doch McCabe hielt ihn zurück. In einem Kampf auf Leben und Tod gab es keine Regeln, alles war erlaubt.
Nick wischte sich die Augen, während er zurückwich. Dabei hieb er planlos um sich in der Hoffnung, sich seinen Gegner so vom Leib zu halten. Erneut stolperte er und stürzte, landete rücklings auf dem Boden. Mit einem triumphierenden Schrei setzteCutlass Joe nach und wollte ihm den Todesstoß versetzen. Im buchstäblich letzten Moment erhaschte Nick einen verschwommenen Blick auf seinen Gegner und parierte den mörderischen Hieb nur wenige Handbreit über seinem Gesicht.
Mit hassverzerrtem Grinsen beugte Cutlass Joe sich über Nick, versuchte, die Klinge gegen seine Kehle zu lenken, während dieser mit aller Kraft dagegenhielt. Nicks Muskeln und Sehnen spannten sich bis zum Zerreißen, sein Atem ging stoßweise. Er bot all seine Kraft auf, aber der rohen Gewalt des Piraten hatte er nichts entgegenzusetzen. Unaufhaltsam näherte sich die Schneide seiner Kehle – als sich Nick plötzlich einer Finte entsann, die ihm der alte Angus beigebracht hatte. Für einen winzigen Augenblick gab er seinen Widerstand auf und ließ Cutlass’ Waffe noch näher herankommen, was äußerst gefährlich war. Dadurch jedoch verlor der Rothaarige, der seine ganze Masse in den Angriff gelegt hatte, das Gleichgewicht und kippte nach vorn – und Nick fing ihn mit angezogenen Beinen ab und katapultierte ihn in hohem Bogen über sich hinweg.
Cutlass Joe schrie vor Überraschung und Wut, während er durch die Luft flog. Dumpf schlug er auf dem Sand auf. Noch ehe er sich von seinem Schock erholen konnte, war Nick auf den Beinen. Den Säbel des Piraten, den dieser vor Schreck hatte fallen lassen, nahm er an sich – und noch bevor Cutlass Joe recht begriff, was geschehen war, hatte er sowohl Nicks Rapier als auch seine eigene Klinge an der Kehle.
»Das war’s, Joe«, stieß Nick hervor. »Der Kampf ist vorbei – und du bist der Verlierer.«
Die Bukaniere brauchten eine Weile, um zu begreifen, dass das Duell einen überraschenden Ausgang genommen hatte. Nobody Jim war der Erste, der den Namen des Siegers laut ausrief, dann fielen die anderen ein, sehr zu Cutlass Joes Verdruss.
»Na los, worauf wartest du?«, fuhr er Nick an. »Bring es schon hinter dich. Stoß zu – oder fehlt dir etwa der Mumm dazu?«
Nicks Brust hob und senkte sich stoßweise, noch immer wallte wildes Kampfesblut durch seine Adern. Einen winzigen Augenblick lang wollte er tatsächlich zustoßen, aber dann besann er sich. Auch wenn Joe an seiner Stelle keine Nachsicht gezeigt hätte, war es nicht Nicks Art, einen Mann zu töten, der wehrlos vor ihm am Boden lag. Dergleichen überließ er den Aufsehern in Maracaibo …
»Nein«, sagte er deshalb. »Das Wissen, von mir besiegt worden zu sein, ist für dich Strafe genug. Steh auf, Joe – und lass Jim und mich in Zukunft gefälligst in Frieden.«
Wegen dieser noblen Geste wurde der Jubel der Bukaniere nur noch lauter, was Joe weiter verärgerte. Niemand hatte damit gerechnet, dass der junge Flanagan sich derart meisterlich zu verteidigen verstand, und viele sahen darin eine Bestätigung von Pater O’Rorkes Vermutung. Nick musste der verlorene Sohn Lord Cliffords sein, den ein unbegreifliches Schicksal nach all den Jahren zu ihnen geführt hatte.
Von allen Seiten drangen die Bukaniere auf Nick ein und gratulierten ihm zu seinem Sieg. Jim fiel ihm überschwänglich um den Hals, McCabe und Demetrios ließen ihn hochleben, und Pater O’Rorke schickte ihm ein bedeutsames Lächeln. Aber es war der stumme Chinese,
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