Die Erben der Schwarzen Flagge
bestellen.«
»Grüße? Von wem?«
»Vom alten Angus Flanagan.«
»Angus Flanagan?«
»Ja, Exzellenz. So hat Almaro es jedenfalls berichtet.«
»Angus Flanagan«, echote Navarro und dachte angestrengt nach. Der Name kam ihm entfernt bekannt vor, aber in seiner Eigenschaft als Verwalter einer der wichtigsten Provinzen der Neuen Welt konnte er sich unmöglich an jeden dahergelaufenen Seemann oder Bauerntölpel erinnern, mit dem er zu tun gehabt hatte. Dann aber tauchte unvermittelt ein Gesicht in seiner Erinnerung auf, das zu dem Namen passte – allerdings ein Gesicht, das bleich war vom nahen Tod.
»Natürlich.« Navarros Mund verzog sich zu einem dünnen Lächeln. »War Angus Flanagan nicht der Name dieses Sklaven, den ich vor ein paar Wochen zu Tode foltern ließ? Dieser Narr hatte es eilig mit dem Sterben, also habe ich ihm seinen Wunsch großzügig erfüllt. Fragt sich nur, was er mit den Piraten zu schaffen hat. Ich wüsste nicht, wie …«
Er unterbrach sich, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. »Jetzt wird mir alles klar«, sagte er leise. »Dem Sohn des alten Narren gelang einige Tage später die Flucht. Zwar haben meine Aufseher versucht, ihn einzufangen, aber er entkam zusammen mit einem Negersklaven. Wie es aussieht, haben sich die beiden den Seeräubern angeschlossen und arbeiten nun gegen mich. Undankbar, findet Ihr nicht, Senõr Capitán? Immerhin hatte ich es in der Hand, diesen Mistkerl töten zu lassen …«
»Gewiss, Exzellenz«, bestätigte der Offizier beflissen und verneigte sich, froh darüber, dass der Graf sich seine eigenen Antworten lieferte. Wenigstens würde er ihn diesmal nicht beschuldigen, völlig ahnungslos zu sein.
»Es gibt also eine neue Partei in dem amüsanten Spiel, das wir uns um die Eroberung dieses Erdteils liefern«, resümierte der Conde und setzte sich wieder. Seine Laune hatte sich merklich gebessert, nun, da er wusste, mit wem er es zu tun hatte. »Eine Partei, die Gefangene macht und das Leben spanischer Seeleute schont – aber natürlich kann ich es nicht gutheißen, wenn die Wölfe der See sich plötzlich weniger gefräßig zeigen.«
»Weshalb nicht, Exzellenz?«
»Seid Ihr wirklich so naiv, Cuzo? Muss ich Euch das tatsächlich erklären? Dabei liegt die Antwort auf der Hand: Bislang haben die Einwohner unserer Kolonien die Piraten mindestens ebenso gefürchtet wie wir, weil sie keinen Unterschied machten zwischen Arm und Reich, Spaniern und Einheimischen. In ihrermaßlosen Gier fielen sie über jedermann her, unberechenbar wie ein Rudel wilder Tiere. Nun aber scheint sich dies zu ändern. Einige dieser Hundesöhne haben damit angefangen, sich ihr Ziel genau auszuwählen – und dieses Ziel, Capitán, bin ich.«
»Ihr, Exzellenz? Aber ich dachte, die Piraten hätten es vor allem auf das Silber abgesehen …«
»Ein Pirat, der auf schnellen Reichtum aus ist, hinterlässt keine Nachricht, Capitán. Dieser dreiste Bastard jedoch hat mir einen Gruß bestellen lassen – einen Gruß von einem Toten. Da ist jemand auf Rache aus, Cuzo, und das kann ich nicht dulden. Es bedarf nur einer kleinen Flamme, um einen Flächenbrand zu entfachen, und ich werde gewiss nicht abwarten, bis diese Strolche eine Revolte gegen mich anzetteln.«
»Eine Revolte?« Der Offizier schluckte. »Übertreibt Ihr nicht vielleicht ein wenig, Exzellenz?«
»Keineswegs«, erwiderte Navarro überzeugt, und seine Stimme klang unheilvoll und dunkel. »Findet mir diesen entlaufenen Sklaven und bringt ihn zu mir zurück. Je eher er am Galgen baumelt, desto besser.«
»Zu Befehl, Exzellenz. Die Frage ist nur, wo wir nach ihm suchen sollen. Die Inseln sind voller Verstecke, die …«
»Das ist mir gleichgültig!«, brach es aus Navarro heraus. »Ich will diesen Jungen, besser heute noch als morgen. Und kommt mir nicht wieder mit Ausflüchten, Capitán. Sonst könnte es am Ende Euer Hals sein, der in der Schlinge steckt. Habt Ihr mich verstanden?«
»Natürlich, Exzellenz.«
»Gut. Dann geht jetzt und tut, was ich Euch aufgetragen habe. Die spanische See ist voller Ungeziefer, das beseitigt werden muss …«
10.
S eit zwei Tagen war Nick nun Kapitän der Seadragon – zwei Tage, in denen er kaum etwas anderes getan hatte, als über sich und seine Lage nachzudenken.
Noch immer weilten die Bukaniere auf der Insel, auf der sie Nick zu ihrem neuen Anführer erkoren hatten. Nachdem sie die letzte Zeit auf See verbracht hatten, bot der Landgang willkommene Abwechslung, und entlang der
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