Die Erben der Schwarzen Flagge
hatte. Die Erinnerung an die Schmach und die Aussicht, sich dafür endlich revanchieren zu können, verliehen ihm zusätzliche Kraft. Im Laufschritt setzten er und seine Kameraden durch den Wald und erreichten den Abbruch. Aus der Ferne war heiseres Gebell zu hören. Die Spanier setzten ihre Hunde ein, genau wie in jener Nacht, in der Jim und er geflohen waren.
»Hört Ihr das, Mylady?«, fragte Nick und ließ seine Last herunter, die ihn schnaubend und aus zornigen Augen anblitzte. »Eure Leute haben ihre Bluthunde auf uns gehetzt. Pflegt man Besuch in Spanien stets auf diese Weise zu verabschieden? So viel zur Gastfreundschaft …«
»Mhmm«, drang es unter dem Knebel hervor, aber Nick hatteauch so eine ziemlich klare Vorstellung davon, was Elena de Navarro ihm sagen wollte. Die Tochter des Conde war widerspenstiger, als er angenommen hatte, und sie besaß einigen Mut – sich einschüchtern zu lassen, schien nicht ihre Sache zu sein. Zumindest zeigte sie ihre Furcht nicht, und das verlangte Nick Anerkennung ab, selbst bei seinem Feind.
»Verzeiht, wenn ich keine Zeit habe, Euch mein Ohr zu leihen, Mylady«, beschied er ihr grinsend, »aber ich verspreche Euch, dass Ihr gleich andere Sorgen haben werdet, als mich zu beschimpfen …«
Damit versetzte er ihr einen kräftigen Stoß, sodass sie das Gleichgewicht verlor und stürzte – geradewegs die schlammige Rutschbahn hinab, die Nick schon einmal vor den Hunden der Spanier gerettet hatte. Irgendwie brachte Elena de Navarro es fertig, trotz des Knebels in ihrem Mund einen entsetzten Schrei auszustoßen. Dann hatte der steile Abgrund sie auch schon erfasst, und es ging rasend schnell in die Tiefe.
Ohne Zögern setzte Nick ihr hinterher, gefolgt von seinen Leuten. Die Bukaniere lachten derb, als es mit halsbrecherischer Geschwindigkeit nach unten ging, sie hin und her geworfen wurden und sich im Schlamm überschlugen. Die Rutschpartie endete so abrupt, wie sie begonnen hatte, und alle fanden sich inmitten des Sumpflochs wieder, das sich am Fuß der Schlammbahn befand und dessen Wasser erbärmlich stank.
Elena de Navarros dumpfes Lamento ging in hohles Gurgeln über, als sie in der zähen Brühe versank. Sofort griff Nick nach ihr, bekam sie zu fassen und zog sie aus dem Sumpf. Ihr langes Haar und ihr einst blütenweißes Nachtgewand hatten einigen Schaden genommen, das hübsche Gesicht mit den herrischen Zügen war schlammverschmiert. Nick ertappte sich dabei, dass er auf ihre Brüste starrte, die sich durch den durchnässtenSeidenstoff abzeichneten – der Blick, mit dem sie ihn dafür bedachte, war so messerscharf, als wollte er töten.
»Schon gut«, meinte Nick mit entschuldigendem Grinsen und lud sie sich erneut auf die Schultern, um sie durch die Dunkelheit auf dem Pfad zu tragen, der ihm inzwischen richtiggehend vertraut war. Cutlass und die anderen folgten ihm, alle schlammbedeckt vom Scheitel bis zur Sohle und nicht mehr ohne weiteres als Menschen erkennbar.
Flugs bewegten sich die vier bizarren Gestalten mit ihrer Beute durch das Dickicht. Das Gebell der Hunde war noch zu hören – die Spanier versuchten diesmal wohl, ihnen auf den Fersen zu bleiben. Aber inmitten der Sümpfe würden die Tiere die Witterung schon bald verlieren, und die Alligatoren würden ein Übriges tun, um den Bukanieren die Verfolger vom Hals zu halten.
Plötzlich erklang ein Rascheln unmittelbar vor ihnen.
Nick blieb stehen und wollte nach seinem Rapier greifen, als sich die vertrauten Züge von Nobody Jim und McCabe aus dem Dunkel schälten.
»Da seid ihr ja endlich!«, hauchte Jim aufgeregt. »Wir hatten schon das Ärgste befürchtet.«
»Keine Sorge«, erwiderte Nick. »Wir sind spät dran, aber dafür waren wir erfolgreich. Darf ich vorstellen, Mateys? Dies ist Elena de Navarro, die Tochter unseres geschätzten Conde.«
Demonstrativ stellte er seine Ladung ab – dass die Doña dabei bis über die Knöchel im Morast versank, scherte ihn nicht.
»Du hast es tatsächlich fertig gebracht«, sagte McCabe bewundernd. »Donnerwetter, Käpt’n – das macht dir so leicht keiner nach.«
Als Elena hörte, dass Nick der Anführer der Piraten war, zuckte sie zusammen. Ihr Blick wurde noch zorniger, worauf er umso breiter grinste.
»Und wie ist es euch ergangen?«, wollte Nick von seinen Leuten wissen.
»Wir waren ebenfalls erfolgreich«, erstattete McCabe knappen Bericht. »Diese spanischen Einfaltspinsel haben erst reagiert, als die Sklaven schon befreit
Weitere Kostenlose Bücher