Die Erben der Schwarzen Flagge
waren.«
»Verluste?«
»Ein Mann – Onehand Jack. Eine Musketenkugel hat ihn erwischt.«
»Und wie viele befreite Sklaven?«
»Über zweihundert. Etwa ein Viertel waren französische Kriegsgefangene, die ihr Glück auf eigene Faust versuchen wollten.«
»Und der Rest?«
»Befindet sich unter Demetrios’ Führung auf dem Weg zur Seadragon. Ich fürchte, dort wird es mächtig eng werden in den nächsten Tagen.«
»Was ist mit Unquatl?«, wollte Nick von Jim wissen.
»Es geht ihm gut«, versicherte der Afrikaner, »und er brennt darauf, dich zu sehen.«
»Geht mir nicht anders. Seine Weisheiten und seine verdrehte Art zu reden haben mir gefehlt. Ich bin sicher, unser rothäutiger Freund und Pater O’Rorke werden sich blendend verstehen. Und jetzt sehen wir zu, dass auch wir zum Schiff kommen.«
»Und dann?«, fragte McCabe.
»Dann verstecken wir uns und warten«, erwiderte Nick.
»Uns verstecken? Wo?«
»Da fragst du noch?« Nick grinste wölfisch. »Dort, wo sich alle Piraten verstecken, die etwas auf sich halten – auf Tortuga …«
13.
C arlos de Navarros Züge hatten sich verfinstert.
Einsam stand der Conde von Maracaibo am Strand des namenlosen Eilands, den Umhang eng um die Schultern gezogen und den Federhut tief ins Gesicht gerückt. Er wollte nicht erkannt werden, am allerwenigsten von einer Bande dahergelaufener Meuchelmörder und Diebe. Bei all seinen Plänen waren sie nur Beiwerk, nur das Mittel zum Zweck. Sobald die Lage es ihm erlaubte, würde sich der Graf seiner Helfer entledigen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch waren sie ein notwendiges Übel, das er in Kauf nehmen musste.
Es war der Preis der Macht.
Grenzenloser Macht …
Aus dem Augenwinkel konnte Navarro die Galeone sehen, die in der Bucht ankerte. Zusammen mit einigen ausgewählten Männern, denen er ein Schweigegelübde abgenommen hatte, war er zur Insel übergesetzt. Er musste vorsichtig sein. Wenn die Kunde von dem, was hier geschah, in falsche Ohren gelangte, konnte dies das Ende seiner hochfliegenden Pläne bedeuten. Der Vizekönig war auch so schon misstrauisch geworden, neidete ihm seine Macht und seine Erfolge. Nicht von ungefähr hatte er ihm Spione auf den Hals gehetzt, von denen es in Maracaibo nur so wimmelte. Außerdem intrigierte er gegen ihn am spanischen Hof, und da der Vizekönig ein leiblicher Verwandter des Königs war, hatte das Wort eines Conde gegen das seine keine Gültigkeit.
Navarros einzige Möglichkeit, seine Macht zu behaupten und sie noch weiter auszubauen, bestand darin, sich nach neuen Verbündeten umzusehen – und diese Verbündeten hatte er, zu seinem eigenen Abscheu, in jenen Piraten gefunden, die seitMonaten die armada de la plata 13 attackierten. Blutrünstige Gesellen waren es, ohne Gewissen und Moral – und wie Navarro jetzt feststellen musste, gehörte auch Pünktlichkeit nicht zu ihren spärlichen Tugenden.
Weitere Zeit verstrich. Zeit, die der Graf nutzlos damit vertat, dem Rauschen der Brandung zu lauschen. Seine Ungeduld wuchs. Wenn er zu lange von Maracaibo fortblieb, würde das den Argwohn der Spitzel wecken, und das konnte verhängnisvoll sein. Zähneknirschend bedachte er seine ungeliebten Verbündeten mit bitteren Flüchen – als sich zwischen den Felsen etwas regte.
Navarro blickte auf und sah mehrere Männer den schmalen Pfad herunterkommen. Sie trugen hohe Stiefel und schäbige Röcke und Westen, dazu schwarze Tücher um die Köpfe. Ihre bloße Gegenwart ließ ihn erschaudern, was er darauf zurückführte, dass sie Piraten waren, ehrlose Verbrecher, die keine Skrupel kannten und an deren Händen das Blut unzähliger Opfer klebte.
Aber ließ sich damit die tiefe Unruhe erklären, die er in seinem Innersten empfand? Woran mochte es liegen, dass jedes Mal, wenn er den Seeräubern gegenübertrat, klamme Furcht nach seinem Herzen griff? Lag es an ihrem eigenartig schleppenden Gang, den Navarro als fremd und unnatürlich empfand? Oder an ihren stumpfen Blicken, die jedes Leben zu entbehren schienen und keine Gefühlsregung erkennen ließen?
»Halt!«, rief Navarro ihnen entgegen und hob abwehrend die Hände. »Keinen Schritt weiter, oder ich werde meine Wache rufen.«
Die Piraten blieben stehen, und eine weitere Gestalt erschienauf der Klippe – ein hagerer Mann in schwarzer Kleidung, der einen Federhut nach französischer Mode trug und dessen Umhang sich in der ablandigen Brise bauschte. Mit katzenhafter Gewandtheit stieg er die Felsen herab und schleuderte Navarro
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