Die Erben des Terrors (German Edition)
Sutters Anblick kurz erschrocken, fing an zu weinen und wurde dann völlig hysterisch. Vom Tonfall klang sie wie die hübsche Frau des Terroristen, die er ein paar Tage zuvor erschossen hatte, aber irgendwie auch nicht. Nein, in dem, was sie sagte, waren nicht nur Vorwürfe. Natürlich hatte er eine Vorstellung davon, wer mit monstre gemeint war, aber der Teil mit Amerika, Hollywood und Hamburgern war durchaus irritierend. Vor allem aber war es zu laut, langsam riskierte er, dass das Geschrei jemand hörte. Er hob seine Pistole etwas an.
„Ja, erschieß mich doch, jetzt ist doch auch alles egal. Ich werde sowieso nicht nach Amerika kommen, nicht nach Los Angeles, nicht nach New York , nicht nach Miami.“
Sutter gewann immer mehr den Eindruck, dass es kaum einen Unterschied zw ischen den französischen Aussagen des nackten Mädchens vor ihm und denen der hübschen Frau mit dem grünen Kleid in Indonesien gab. Beide waren von der auf sie gerichteten Waffe völlig unbeeindruckt, und beide sagten ihm, dass er ein schlechter Mensch sei – ein Monster, das nur töten könnte. Und sie hatten Recht.
P lötzlich kam es ihm: Keine der Frauen warf ihm vor, den jeweiligen Mann erschossen zu haben – also zumindest nicht die Polynesierin, die die unter ihr immer größer werdende Blutlache des toten Mannes neben ihr, aus dem das Blut hervor lief, völlig ignorierte. Nein, so kam es Sutter langsam, die Frauen waren böse auf ihn und traurig, weil er ihnen etwas weggenommen hatte. Der einen ihren Terroristen, und der anderen, wenn er sie richtig verstand, die bekannten Großstädte der Vereinigten Staaten.
Er wurde immer sicherer, dass die Frau ihm vorwarf, er hätte ihr Leben zerstört. Und von dem Eindruck, den er in Tahiti gewonnen hatte, war das kein beeindruckend gutes Leben. Aber vielleicht, vielleicht hatte sie irgendwelche Hoffnungen – Hoffnungen auf Amerika, und Sutter hatte nicht nur einen alten Mann, sondern die Hoffnungen der jungen Frau getötet. Sutter fühlte tief in sich, dass er nicht nur Menschen tötete, nein, er zerstörte sie. Und schon zum zweiten Mal in wenigen Tagen hatte Sutter das Gefühl, er hätte etwas Falsches getan.
Wobei, natürlich war es richtig gewesen, den Terroristen zu töten, und die Frau hatte ja dazu beigetragen. Und auch der russische Schläfer sollte ihm keinen Gedanken wert sein, aber das junge Mädchen vor ihm? Sie hatte ihre Träume, von Los Angeles, von Hollywood und Hamburgern.
„Was wartest du? Es ist alles kaputt, es ist alles vorbei. Das ist nicht fair, mein Leben ist zu ende, bevor es begonnen hat. Grigory war meine einzige Chance, und du hast sie kaputtgemacht, du Monster!“
Sutter spürte etwas, was er Jahrzehnte nicht gespürt hatte. Es war eine M ischung aus Mitgefühl und Bedauern. Mitgefühl für das junge Mädchen, und Bedauern dessen, was er ihr angetan hatte. Er war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob das, was er tat, wirklich richtig war. Er verstand die französischen Vorwürfe – ihr Leben war zu Ende, und er hatte es zerstört.
Gut, ihr Leben wäre auch so zu Ende gewesen, sobald sie die amerikanische Küste erreicht hätte, aber das hat sie wahrscheinlich nicht gewusst, und sie würde nie die Einfahrt in die Bucht von San Francisco sehen, nie die Golden Gate Bridge. Er senkte seine Waffe und hielt ihr seine Hand durch das offene Luk entgegen und schloss kurz seine Augen.
Verwundert blickte Célestine den Mann an, der ihr seine große Hand entgegenhielt. Nach kurzem Zögern ergriff sie sie, und wurde sanft aus der Kabine auf Deck gehoben. Sie verstand nicht, was passierte, und sie hatte den Eindruck, dass der Mann sie auch nicht verstand. Sie drückte sich eng an seinen Körper.
Sutter spürte… er wusste nicht genau, was er spürte, aber es war etwas wie Dan kbarkeit. Dankbarkeit von dem Mädchen, das weinend und nackt ihre Verzweiflung kundtat. Wofür, fragte er sich, war sie dankbar? Was könnte er dem Mädchen bieten, wofür sie dankbar sein könnte? Ein paar Tausend Dollar, wie den Mädchen auf Tahiti? Ein neues Leben auf dem Straßenstrich in Ecuador? Einen amerikanischen Pass, und damit ein Leben auf dem Straßenstrich in New York oder San Francisco? Es wirkte alles unfair.
Nein, beschloss er, das hätte sie nicht verdient. Er konnte ihr nicht wirklich he lfen, so gerne er es in diesem Moment auch getan hätte. Sanft nahm er ihr zartes Gesicht zwischen seine rauen Hände, strich durch ihre im Mondlicht glänzenden, blutverschmierten
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