Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
vierundsiebzig …« Ich gelangte ans Ende. »In gut drei Jahren wird jeder hier drin tot sein.«
»Wenn die Leute hierbleiben.«
»Aber wo sollen sie denn hin?« Ich dachte an den kleinen Jungen mit den Verbrennungen von neulich. »Keiner hat doch eine Ahnung, in was für einer Gefahr er schwebt.«
»Es ist genau das, was wir befürchtet haben …«
»Bloß noch viel schlimmer.«
Lilly seufzte, als fühlte auch sie eine schwere Last auf ihren Schultern. »Die Leute müssen hier raus.«
Ich scrollte wieder nach oben. »Die letzte Messung war vor gerade mal vier Tagen. Das muss der Grund für Pauls Wutausbruch gewesen sein. Ich habe ihn in seinem Büro rumschreien hören.« Ich dachte an das Kuppelpaneel, das in Flammen aufging. »Projekt Elysion muss irgendwas damit zu tun haben. Und wir – und Atlantis.«
»Ja, aber w…«
Lilly brachte den Satz nicht zu Ende, weil auf einmal ein erstickter, verzweifelter Schrei erklang.
Ich zuckte zusammen. »Was war denn das?«
Lilly lief zur anderen Seite des Labors. »Ich glaube, es kam von hinter dieser Tür – los, komm!«
Ich aber blieb noch am Schirm.
»Wir brauchen den Daumenabdruck für das Schloss!«, rief Lilly von der Tür.
Ein weiterer Schrei erklan g – unheimlich, hoch , und nicht bloß durch die Tür gedämpft. Eher so, als hätte man jemand geknebelt. Trotzdem konnte man das blanke Entsetzen darin hören. Vielleicht wurde irgendwer hier gefangen gehalten – mittlerweile traute ich Paul alles zu.
»Jetzt komm schon!«
Doch ich konnte mich nicht losreißen. »Dr. Maria wollte, dass wir uns das ansehen!«
Lilly sah sich kurz um und entdeckte einen Videoprinter.
»Dann nimm die Dateien eben mit!«
»Gute Idee.« Ich zog die Dateien auf das Druckersymbol.
Das Gerät erwachte zum Leben und begann zu drucken. Ich loggte mich aus, gab Lilly die Dose mit dem Daumenabdruck und rannte zum Drucker, aus dem langsam eine Folie aus Quarzfasern auftauchte. Ich schaute mich nach einer der kleinen Batterien um, die man daran anheften musste, um sie mit Strom zu versorgen und lesen zu können, entdeckte auf die Schnelle aber keine.
Da hörte ich ein Piepsen und ein tiefes Zischen hinter mir. Lilly hatte die Tür geöffnet.
»Owen! Los, komm!« Ihr panischer Tonfall passte sehr gut zu meiner eigenen Angst, die mich beim Klang dieser Schreie überkam.
»Ich bin fast so weit! Was ist …«
Wieder ein Schrei – diesmal, ohne die schwere Tür dazwischen, war der Klang noch viel furchterregender. Die Stimme zitterte, vibrierte fast, und hätte ebenso gut einem verängstigten, einsamen Tier wie einem Menschen gehören können. Es schnürte mir die Kehle zusammen.
»Nein …« Mit bebender Stimme trat Lilly durch die Tür.
»Warte!« Ich schaute zum Drucker. Noch einen Moment … dann war er fertig.
Ich schnappte mir die glatte, dunkle Folie, rollte sie so schnell und behutsam wie möglich zusammen und verstaute sie im Rucksack. Dann rannte ich zur Tür.
Auf der anderen Seite führte eine Metalltreppe nach unten. »Lilly?«, rief ich vorsichtig.
Ich ging die Treppe hinab. Meine Schritte hallten auf dem Metall. Von unten drang das Summen von Maschinen an mein Ohr. Doch auch etwas, das wie rhythmisches Atmen klang.
Ich näherte mich dem Ende der Treppe. Der Boden unter mir war wieder kunststoffüberzogen. Ich hörte Lilly, die beharrlich auf jemand einredete.
Noch näher.
Lilly schluchzte. Sie klang so verloren und elend wie die Trauergäste daheim im Hub, wenn sie nach einer Feuerbestattung noch eine letzte Zwiesprache mit dem Aschehäufchen hielten, ehe sie es der nächtlichen Brise überantworteten.
Ich erreichte die unterste Stufe.
Ein weiterer markerschütternder Schrei riss an mir.
Der Raum war absolut kreisförmig, fast wie die Räume im Tempel. Wieder war alles in helles weißes Licht getaucht, das sich auf den glatten Oberflächen spiegelte.
Nur dass dieser Raum einem ganz anderen Zweck diente …
Und dann konnte ich meine eigene Haut kaum noch spüren, denn ich löste mich und schwebte davon, flüchtete vor den Bildern, die an mein Auge dringen wollten. Niemals hätte ich mir so etwas träumen lassen.
Es war aber nicht wie der Traum im Schädel.
Dies war ein Alptraum.
22
Ich stehe an einem grauen Kiesufer. Das Wasser ist im Licht der Morgensonne strahlend hell. Der See wird von einem Amphitheater zerklüfteter Berge umschlossen, die Gipfel sind voller Schnee.
Vor mir liegt ein kleines Schiff aus dunklem Holz mit funkelnden
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