Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
mir zu. »Wahrscheinlich nicht. Aber was ist schon das Leben einer Einzelnen, wenn es um das von Milliarden geht? Und keine Sorge, Owen – ich werde dich schon nicht aufschneiden oder etwas ähnlich Primitives mit dir anstellen. Ich will dich einfach nur auf deiner Reise begleiten. Ich will von dir hören, dass wir ein Team sind. Dann können wir gemeinsam das Terra und das Herz von Atlantis suchen. Wir dürfen die Natur nicht länger machen lassen, was sie will – wir müssen die Natur steuern. Bitte triff die richtige Wahl. Rette die menschliche Rasse.« Er verzog den Mund zu einer seltsamen Grimasse, die wohl mitfühlend gemeint war, doch seine mechanischen Augen bohrten sich noch immer in mich, als wollte er mir unter die Haut sehen … den Atlanter darunter finden.
Natürlich wäre ich gerne der Retter der Menschheit vor der Flut; der Retter der Welt. Ich wünschte, wir alle hätten ein besseres Leben, auch Dad und ich.
»Ein echter Held«, lockte mich Paul.
Ich fühlte mich so schwach. Paul ließ es klingen, als hätte ich eine Wahl, aber hatte ich die wirklich? Ich konnte ja schlecht einfach Nein sagen, oder? Er konnte mich immer noch zwingen zu tun, was er wollte. Auch wenn Lilly niemals einverstanden wäre, gab es also wahrscheinlich nur eine Antwort. Und wenn ich sein Angebot annahm, wären wir fürs Erste in Sicherheit. Es würde uns Zeit verschaffen. Sobald wir herausfanden, was diese Brocha genau war, konnten wir ja weitersehen … Was aber, wenn sich uns nie die Chance zu handeln bot? Wenn Paul Atlantis dank meiner Hilfe fand und das das Ende vom Lied war?
»Woher soll ich wissen, dass ich dir trauen kann?«, fragte ich.
Paul lächelte. »Eine verständliche Frage. Nun, weil ich dich noch nie belogen habe.«
»Mmmm!« Lilly schaffte es gerade lange genug, sich aus Cartiers Griff zu befreien, um zu schreien: »Ganz Eden ist doch eine Lüge!«
Paul seufzte. »Technisch gesehen war es wohl eher eine Ablenkung, damit wir uns der Entdeckung einer höheren Wahrheit widmen konnten.« Er schaute wieder mich an. »Du wirst feststellen, dass so was manchmal nötig ist, wenn es ums Ganze geht. Trotzdem habe ich dich nie wirklich belogen. Und du hast mein Wort, Owen, dass ich dich von nun an in alles einweihen werde. Ich werde dich beschützen und mich um dich kümmern.«
Ich musste ihm recht geben: Er hatte mich nie direkt angelogen. Doch die ganze Sache mit Colleen und dem Ferienlager … alles hier war eine Lüge.
»Also, Owen?« Paul hielt die Hände auf, die Handflächen nach oben. »Zeit, eine Entscheidung zu treffen.«
Owen.
Die Sirene war wieder da. Sie schwebte in Pauls Rücken, auf der anderen Seite des Raums. Ich warf einen kurzen Blick zu Lilly. Sie schaute mich mit großen Augen an.
Ich sah wieder zur Sirene. Auch sie schaute mich an. Du musst aufrichtig sein.
Was soll das heißen? , fragte ich sie in Gedanken.
Qi-An bedeutet, dass alles in Paaren existiert. Die Wahrheit zu kennen heißt, beides zu kennen.
Beide Seiten zu kennen?
Sie beide zu sehen.
Ich verstand nicht, was sie meinte. Welche zwei Seiten? Ging es hier um die Wahl, mit Paul oder gegen ihn zu arbeiten? Dass Lük von mir erwartete, Projekt Elysion zu verhindern, und Paul, dass ich ihm dabei half? Ob ich nun also Ja oder Nein sagte … Oder vielleicht ging es um Paul? Vielleicht sollte ich seine beiden Seiten erkennen. Denn was geschehen würde, wenn ich einwilligte, war klar: Er würde mich wie seinen neuen Lieblingssohn behandeln, ich würde den Schädel benutzen und ihm alles erzählen. Und so schrecklich es auch klingen mochte, ein Teil von mir wünschte sich das. Ich glaubte Paul und wusste, wie wertvoll ich für ihn war. Irgendwie begriff ich sogar, dass er die schrecklichen Dinge, die wir im Labor gesehen hatten, für eine Notwendigkeit im Dienste der Welt und der Wissenschaft hielt. Aber trotzdem …
Was war mit Pauls anderer Seite? Hatte ich die schon zu sehen gekriegt? Konnte ich ihm wirklich trauen? Hatte er tatsächlich solch noble Ziele? Ich konnte ihn schlecht dazu zwingen, mir das zu verraten. Ich konnte aber Nein sagen und sehen, wie er reagierte.
Und außerdem war da noch Lük, mein … Bruder, der nicht wollte, dass ich diesem Mann half. Der von mir erwartete, dass ich genau das Gegenteil tat. Ebenso Lilly. Aber was wollte ich?
Ich wollte aufrichtig sein. Ich wollte die Wahrheit erkennen.
Gut , sagte die Sirene, und ich glaubte, Anerkennung in ihrem Blick zu sehen. Und wie ich sie da
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