Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
lächelten und viel realer, ja beinahe bedrohlich wirkten. Es schien, als bräuchten sie nie auch nur ein Wort zu wechseln, wie sie da lungerten, als kommunizierten sie allein mit Blicken und Gerüchen, wie die türkischen Löwen, die die Wüsten Frank reichs und Deutschlands durchstreiften.
Doch eins dieser stummen Augenpaare schaute mich an, himmelblau hinter grünen Strähnen: Lilly lag auf der Couch, die Beine über der Armlehne, den Kopf an die festungsgleichen Schultern von Evan gelehnt, der eine Videofolie studierte. Die Juniorbetreuer waren nicht so von der Technik abgeschnitten wie wir.
Ihr Blick ließ mich erstarren und fast über die eigenen Füße stolpern. Rasch wandte ich den Blick ab, denn ich wollte nicht, dass sie mich mit meinem lachhaften Verband sah. Dann aber schaute ich doch zurück, und da sah sie mich immer noch an und nickte mir zu – zumindest kam es mir so vor. Ich fragte mich, ob ich zurücknicken sollte oder lieber ganz cool bleiben oder …
»Lil!«, rief jemand von der Tischtennisplatte, und sie wandte den Blick ab.
Ich ging zur Küche, um mir mein Essen zu holen. Auf dem Rückweg sah ich sie ein Doppel spielen. Sie trug eine rotweiße Schirmmütze, hatte die Ärmel hochgekrempelt und die Augen konzentriert auf den Tisch gerichtet. Sie bemerkte mich nicht, und ich zwang mich dazu, nicht zu starren.
Das Frühstück schleppte sich dahin. Als wir endlich fertig waren, fragte Todd: »Owen, hattest du nicht einen Termin bei Dr. Maria?«
»Stimmt, hatte ich.«
»Dann komm einfach runter zum Sportplatz, wenn du so weit bist.«
Ich verließ den Speisesaal Richtung Krankenhaus. Der Termin machte mir nichts; Dr. Maria war eigentlich sehr nett gewesen. Und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob ich ihr nicht alles erzählen sollte. Zum Beispiel das mit letztem Abend und der Dusche – schließlich war sie Ärztin. Allerdings hielt ein Besuch im Krankenhaus auch das Risiko einer Begegnung mit Paul bereit, und darauf legte ich definitiv keinen Wert.
Ich überquerte gerade die unbefestigte Straße, als ich hinter mir Lillys Stimme hörte.
»Hey, Owen!«
Ich drehte mich um und sah, wie sie sich von einem Grüppchen ihrer Freunde löste. Auch Evan war dabei. »Nur einen Moment«, sagte sie und rannte zu mir. »Hey, ich habe oft an dich gedacht.«
Wirklich? Wann? Wo? Und worüber? Moment, sie redete ja immer noch …
»Wie geht es dir?«
»Ach«, erwiderte ich rasch, »schon viel besser, weißt du. Wirklich.«
Sie nickte. »Gut, und was ist mit deinem Hals?«
»Ach das.« Ich strich mit der Hand über den Verband, als wäre er nicht weiter wichtig, doch schon das war genug, die Wunden kurz aufflammen und mich zusammenzucken zu lassen, auch wenn ich es mir nicht anmerken lassen wollte. »Etwas muss sich im Wasser um meinen Hals gelegt haben, oder es hat mich irgendwas gebissen oder so. Ist dir denn, hm, irgendwas aufgefallen, als du mich gefunden hast?«
»Nein.« Lilly schaute sich verstohlen um, als fürchtete sie, belauscht zu werden. »Das ist alles?«
»Wieso fragst du?« Irgendwie schien sie noch mehr zu erwarten. Da war die Sache mit der Dusche … »Na ja, eigentlich …«
»Lil!«, rief Evan. Er tippte sich auf den Handrücken. »Wir müssen los!«
»Gleich«, rief Lilly. »Ich muss runter zum Steg. Okay, pass auf …« Zu meiner Überraschung fasste sie mich am Arm. Sie trug türkisgrünen Nagellack mit funkelnden Sternchen. »Wir sollten reden. Über deinen Hals und das alles.«
»Meinen Hals?«
»Ganz genau. Kannst du nach dem Mittagessen zu mir kommen? Dann hab ich Schwimmaufsicht.«
»Klar, gern«, sagte ich.
»Okay.« Sie lächelte. »Und hey, bis dahin …« Sie nickte über meine Schulter Richtung Krankenhaus. »… kein Wort zu denen , okay?«
Ich warf einen nervösen Blick hinter mich. »Natürlich. Geht klar.«
»Und falls du irgendwelche komischen Anwandlungen kriegst … Tu’s einfach.«
Komische Anwandlungen – wovon redete sie bitte? Aber ich nickte bloß. »Alles klar.«
»Gut.« Lilly eilte zurück zur Gruppe. Ich schaute noch einmal auf meinen Arm, wo ihre Finger mich berührt hatten. Ich meinte noch ihre Wärme dort zu spüren.
Ich ging weiter Richtung Krankenhaus und dachte darüber nach, was sie gesagt hatte. Wir würden uns unterhalten. Irgendwie wusste sie, was mit mir los war. Die Neugierde brachte mich jetzt schon um.
Ich trat ein. Die Türen im Eingangsbereich waren alle geschlossen, aber aus Pauls Zimmer hörte ich leise
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