Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
und mich stattdessen aufs Essen zu konzentrieren; das nächtliche Schwimmen hatte mich mit einem ziemlichen Heißhunger zurückgelassen. Doch mit dem Essen kehrte auch die Erschöpfung zurück, und ich musste mich arg zusammenreißen, nicht an Ort und Stelle einzuschlafen, während ich in Gedanken noch mit Lilly durchs dunkle Wasser schwamm.
»Jetzt haltet die Klappe!« Leechs Aufschrei riss mich aus meinen Träumen. So finster, wie er die Polarfüchse anschaute, schien er es tatsächlich ernst zu meinen.
Paige und ihre Freundinnen aber lachten sich bald kaputt.
»Sie wollten wissen, ob er jetzt Pauls kleines Schätzchen ist«, klärte Beaker mich auf, als hielte er sich jetzt für meinen Sekretär.
Ich brummte zustimmend. Leech hatte mittlerweile seine Fassung wiedergefunden.
»Er hat ein Motorboot«, erklärte er den Mädchen. »Und ich kann es fahren. Wenn eine von euch Hübschen also morgens mal mit mir rausmöchte, ich kenne da ein paar ruhige Fleckchen …«
Doch das provozierte nur neues Gelächter, und Paiges Augen wurden ganz groß, als mimte sie nun den Part der Entsetzten.
Leech widmete sich wieder seinen Freunden. Jalen, Noah und Mike klatschte er ab, Xane ignorierte er. Ich fragte mich, weshalb er bei der Erwähnung von Paul die Beherrschung verloren hatte. Wieso hatte er sich so angegriffen gefühlt? War er denn nicht mehr stolz darauf, der Liebling des Direktors zu sein?
»Glotz nicht so, Schildkröte!«, fuhr Leech mich an. »Oder schreibst du mit, wie man mit Mädchen redet?«
Ich lächelte nur still in mich hinein. Es war keine Absicht – ich war bloß in Gedanken gerade wieder mit Lilly unter Wasser, und da musste mir das Lächeln einfach entwischt sein.
Leech funkelte mich an. »Was?«
»Gar nichts.« Ich besann mich darauf, Ärger aus dem Weg zu gehen. »Kann ich mir noch was holen?«, fragte ich deshalb und erhob mich.
»Na klar doch«, meinte Todd.
»Ja, geh besser«, murmelte Leech, und wieder verspürte ich den Impuls, einfach zu sagen: Sonst was? Na los doch – trau dich.
Ich durchquerte den Speisesaal. Die Juniorbetreuer posierten wieder stilllebengleich auf den Sofas. Ich entdeckte Lilly, doch leider las sie gerade, und nur Evan schaute auf und starrte zurück. Rasch suchte ich nach etwas anderem, auf das ich meine Aufmerksamkeit richten konnte.
Colleens Tod machte die Sache recht einfach.
Es passierte direkt neben mir, und doch bekam ich es erst gar nicht mit. Ich sah nicht, wie sie fiel, sondern hörte nur das Krachen des Metalltabletts auf dem Betonboden, das gellende Scheppern von Besteck, den dumpfen Aufprall eines Schädels.
Dann senkte ich den Blick und da lag sie, ausgebreitet auf dem Boden.
Ich entdeckte sie, eine Sekunde bevor die meisten anderen reagierten. Eine Sekunde, in der die Gespräche, das Klappern und Klirren der Geräuschkulisse noch andauerten. Eine der anderen Gruppen übte gerade einen Schlachtruf, inklusive Stampfen und Händeklatschen. Die Morgensonne fiel in schrägem Winkel durch die hinteren Fenster des großen Saals und spiegelte sich auf dem Besteck und in den Gesichtern, Menschen schwenkten die Arme, drehten die Köpfe … doch hier, inmitten all dessen, lag dieser winzige Körper, vollkommen reglos. Sie hatte ihr Zuckerwasser verschüttet, und das rote Konzentrat bildete eine Pfütze um ihren Kopf, die von ihrem Haar langsam aufgesogen wurde, wie Blut, das zurück in den Körper fließt. Es war, als sähe man einen Film, bloß rückwärts.
Dann drehten sich immer mehr Gesichter zu uns um. Es breitete sich wie Wellen durch den Saal aus. Ein kleines Mädchen stieß einen Schrei aus, und die Erwachsenen sprangen auf und rannten herbei. Die Betreuerin der Pandas war als Erste bei uns und fiel auf die Knie, mitten in die rote Pfütze, die nun ihre Jeans tränkte.
»Colleen?«, flüsterte sie, als hoffte sie, dass Colleen nur ein kleines Nickerchen hielt, aus dem sie das Mädchen nicht wecken wollte. Sie fühlte an ihrem Hals nach dem Puls. Dann warf sie panisch den Kopf herum. »Ruft Dr. Maria, schnell!« Vorsichtig drehte sie Colleen auf den Rücken.
Wir würden uns noch wünschen, sie hätte das nicht getan. Es stellte sich nämlich heraus, dass Zuckerwasser und Blut doch sehr verschieden sind. Was Colleen da Nase, Mund und Kinn verschmierte, als wäre irgendwo in ihr ein Damm gebrochen, war sehr viel dunkler als das Konzentrat, und man sah deutlich, wie klebrig es war. Es hing an ihren ausdruckslosen Wangen, sammelte sich in ihren
Weitere Kostenlose Bücher