Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
so tief in den Knochen, als erinnerte sich ein Teil von mir noch daran; dennoch frage ich ihn: »Was war das?«
»Das«, antwortet er, »ist das Verhängnis, das wir über uns gebracht haben. Wir dachten, wir wüssten genug, um mit dem Terra herumzuspielen. Früher spürten wir den Rhythmus des Qi-An, hörten das Flüstern der Natur und lebten im Einklang mit ihr. Doch je fortschrittlicher unsere Technologie wurde, desto weniger schenkten wir der göttlichen Musik Gehör. Wir glaubten, wir könnten das Terra kontrollieren und die Welt so gestalten, wie es uns beliebt.«
Ich denke an die Große Flut und ihre Ursachen. Irgendwie klingt das alles sehr vertraut.
»Genau«, stimmt Lük mir zu. »Und im Endeffekt machten wir es nur noch schlimmer. Sehr viel schlimmer. Wir zapften Energien an, die uns nicht zustanden und die wir nicht beherrschen konnten. Jetzt fällt die ganze Welt auseinander. Es scheint keine Sonne mehr, und wir haben eine schlimme Flut ausgelöst. Ich glaube, du kennst sie noch aus den Legenden.«
»Meinst du etwa die Sintflut? Aus der Bibel?«
»Genau die meine ich. Noah und seine Arche, Manu in der hinduistischen Überlieferung, Deukalion bei den Grie chen, Utnapischtim im Gilgamesch-Epos. All diese Mythen berichten vom selben Ereignis. Und es ist auch nicht bloß eine Flut – ganze Kontinente verschieben sich und versinken, Berge steigen aus dem Meer empor, und all dies durch unser Verschulden.«
Er zeigt hinab Richtung Stadt. »Wir müssen nun fort von hier. Die Lüfte sind schon zu unsicher geworden, daher reisen wir nur zur See. Es ist die sicherste Methode, der Flut zu entgehen. Wenn die Katastrophe ausgestanden ist, werden wir uns über die ganze Welt verstreuen und irgendwo in ihren fernen Winkeln ein neues Zuhause suchen. Was wir für gefahrlos halten, werden wir weitergeben. Vieles aber lassen wir auch hinter uns zurück, damit es im Strom der Zeit versinken kann.«
Ich nehme den Anblick der uralten Stadt mit all ihren Straßen und Gassen in mich auf. »Und wann geschieht – oder geschah – das alles?«
»Vor etwa zehntausend Jahren«, sagt Lük. »Mehr oder weniger.«
Unter mir ziehen die Atlanter langsam zum Hafen. Ich empfinde Mitleid mit ihnen, und ein Kloß bildet sich in meiner Kehle. Fast kommt es mir so vor, als wären sie Teil meiner Familie.
»Das sind sie auch«, sagt Lük.
»Was?«
»Deine Familie. Du, Owen, bist ein Atlanter. Mit den Jahrtausenden, die zwischen uns liegen, hat sich das … Wie nennt ihr das doch gleich …?«
Seine unsichtbaren Finger forschen in meinem Verstand.
»Das menschliche Genom hat sich weiterentwickelt. Bestimmte Erbinformationen wurden bevorzugt und haben eine Vielzahl an Varianten hervorgebracht. Andere wurden nicht mehr gebraucht und gingen mit der Zeit verloren. Trotz dieser Veränderungen kommt dein Erbgut unserem aber näher als irgendeines sonst.«
»Du meinst meine DNS ?«
Wieder durchforscht Lük meine Erinnerung. »Ja, aber es geht um mehr als bloß deine Augenfarbe oder deine Kör pergröße, es geht auch um Fragen der Wahrnehmung, eine Art von Gedächtnis. Das Wissen in deinen Genen verbindet dich mit uns. Unsere Kultur, unser Bewusstsein, lebt in dir fort.«
»Okay.« All das ist völlig verrückt, unvorstellbar, und doch glaube ich es ohne zu zögern, als hätte ich es immer schon geahnt. »Ich habe also praktisch atlantische DNS in mir, und bestimmte Gene wurden jetzt aktiviert?«
»Das trifft es in der Tat ganz gut.«
»Aber was hat sie aktiviert?«
»Die Nähe dieses Schädels. Er ist auf das Qi-An deiner atlantischen Gene eingestellt, um direkt auf sie einwirken zu können.«
»Dann sind also der Schädel und die erwachten Gene die Erklärung hierfür?« Ich zeige auf meine Kiemen, doch im selben Moment wird mir klar, dass das nicht sein kann: Denn Lük hat keine Kiemen. »Moment mal …«
»Durch das Erwachen wurden Gene angesprochen, die seit Tausenden von Generationen inaktiv waren. Dabei kommt es zwangsläufig zu ein wenig Durcheinander. Ein paar Gene werden neu gemischt. Doch alle Nebenwirkungen sollten sich mit der Zeit von selbst neutralisieren.«
»Oh. Das heißt, ihr seid gar keine Kiemenmenschen?«
Lük schaut mich an und bricht in Gelächter aus. Es ist ein komischer Laut, kurz und trocken, und zeigt mir abermals, wie viel Zeit zwischen uns beiden liegt. »Nein. Unsere Babys haben zwar manchmal tatsächlich noch welche, aber sie wachsen dann zu. Doch wir kennen Legenden über Kiemenmenschen.
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