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Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Emerson
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Vision – Lük. Im Zwielicht zwischen uns steht der Schädel und erhellt unsere Gesichter.
    »Es ist Mittag«, sagt Lük, der meine Gedanken errät. »Heller als jetzt wird es nicht mehr.«
    Er hat ein ähnliches Gesicht wie die Sirene. Irgendwie fast … primitiv, aber das trifft es nicht, denn das klänge da nach, als wäre er nicht intelligent, und sein Verstand hat eine solche Strahlkraft, dass ich sie beinahe spüren kann. Doch selbst bei Dads alten Familienbildern, aus den frühen Jahren der Fotografie, glaubt man zu sehen, wie die Gesichter, die Nasen, die Schultern sich mit der Zeit verändert haben.
    Lüks Aussehen könnte man vielleicht am ehesten als vorzeitlich bezeichnen.
    Trotzdem scheint er mir so ähnlich, dass die erste Frage, die ich stelle, lautet: »Bist du … ich? Oder bin ich …«
    »Nein«, antwortet Lük. »Du bist du, und ich bin ich. Wir sind aber verwandt.«
    »Wie unterhalten wir uns? Ich meine … Wahrscheinlich sprichst du kein Englisch.«
    »Wir verständigen uns ohne Worte«, sagt Lük. »Durch die Harmonie des Qi-An.«
    »Des was?«
    »Schon früher hat es viele Namen für die Kräfte gegeben, die den Kosmos zusammenhalten. Zweifellos gab es auch nach uns noch viele.« Er schließt die Augen, und in der Stille kann ich eine seltsame Präsenz in meinem Kopf fühlen, als würden Finger durch die Seiten eines Buchs blättern. »Begriffe, die du dafür kennst, lauten Yin und Yang. Wir nannten es das Qi-An.«
    »Kräfte«, überlege ich. »So wie die Schwerkraft?«
    »Die Schwerkraft ist nur eine Ausprägung des Qi-An. Es gibt viele weitere. Das Qi-An brachte auch das Prinzip des Lebens hervor. Du würdest es vielleicht …« – diesmal das Gefühl einer Brise, die durch meine Gedanken streicht – »… Gaia nennen. Wir nennen es das Terra.«
    »Und du bist … tot?«
    Lük lächelt. Dann schaut er sich um; ich folge seinem Blick und entdecke drei unscheinbare Sockel, auf denen in der Vision die Kristallschädel ruhten. »Ja«, sagt er. »Aber nicht hier drin.«
    »Wo ist ›hier‹?« Ich will ihn schon fragen, ob dies der Himmel ist.
    »Darin läge eine gewisse Wahrheit«, sagt Lük. »Aber ich glaube, technisch gesehen könnte man sagen, dass wir uns im Inneren des Schädels befinden.«
    »Aber wie ist das möglich?«
    »Natürlich hältst du dich immer noch im Tempel auf, aber der Schädel hat dich …« Er liest wieder meine Gedanken. »Dein Bewusstsein wurde in den Schädel hochgeladen«, sagt er dann. »Wo sich auch meins befindet.«
    »Du bist also gestorben … und dann hat man dich hier gespeichert?«
    Lük runzelt die Stirn und überlegt. »So ungefähr.«
    Eine Ascheflocke fällt mir aufs Gesicht, und ich blinzle. »Und wo sind wir jetzt hier?«
    Lük steht auf. »Komm mit.«
    Ich folge ihm zur Mauer, und wir schauen hinab. Er ist einen guten Kopf kleiner als ich.
    Die Stadt ist in einem Tal zwischen steilen Bergflanken erbaut. Die Bergspitzen sind schneebedeckt. Zu unserer Linken schlängeln sich die hellen Adern von Straßen ins Tal, einem hohen Gletscher entgegen. Zu unserer Rechten endet die Stadt an einer mächtigen Mauer, jenseits derer die stürmische, gischtbedeckte See liegt. Hohe Brecher rollen in den Fjord und branden gegen die Kaimauern. Im Hafen liegen majestätische Schiffe mit kupferbeschlagenen Masten und riesigen Segeln vor Anker.
    »Das ist unsere letzte Stadt«, sagt Lük. »Die andern haben wir schon verloren, und bald werden wir auch diese verlieren.«
    »Wer seid … wer wart ihr?«
    Lük löst den Blick von der Stadt und wendet sich wieder mir zu. »Man hat uns viele Namen gegeben. Die Inkas nannten uns Viracocha, die Spanier Tartessier; die meis ten aber kannten uns als Atlanter, nach dem Atlantis eurer Sagen. Nicht, dass wir uns selbst je so genannt hätten. Tausende von Jahren sind wir über die Weltmeere gesegelt, haben unsere Städte gebaut, von der Erde, dem Meer und den Sternen gelernt und eine große, weltumspannende Kultur errichtet. Doch vieles von dem, was wir gelernt haben, ging schon verloren. Wir sterben aus. Dies ist das Ende.«
    Gebannt schaue ich auf die strahlende Stadt hinab. »Ist das dein Ernst?«
    Die Frage scheint ihn zu amüsieren. »Durchaus.«
    »Das da«, frage ich, »ist Atlantis ?«
    »Ein Teil davon. Früher gab es viele solcher Städte, überall auf der Welt.«
    Ein bedrohliches Grollen ertönt, und Lüks Finger schließen sich angstvoll um den Rand der Mauer. Auch ich halte mich fest. Die Furcht steckt mir

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