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Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Emerson
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sehen?«
    Nein, dachte ich. Ich wollte nicht gehen. Ich wollte im Bett bleiben. »Ich dachte, wir sollten drinnen bleiben, weil es draußen zu gefährlich ist?«
    Moms Lächeln sollte wahrscheinlich bedeuten, dass ich mich nicht zu fürchten brauchte. Allerdings hatte ich immer das Gefühl, dass sie auch enttäuscht von mir war, von meiner Vorsicht und meiner Angst. Dad hätte auch nicht nach draußen gewollt – aber Dad war bei der Arbeit. Er arbeitete häufig nachts, um sich um die geothermischen Speicher zu kümmern. Die Akkus machten immerzu Probleme.
    »Ach was«, meinte Mom mit einem Lächeln. »Uns passiert schon nichts.« Doch sie wandte den Blick dabei ab. Ich hatte sie das auch in Gesprächen mit Dad tun sehen, und es wirkte auf mich so, als fände sie es sehr anstrengend, sich um jemand so Ängstlichen wie mich kümmern zu müssen. Es vermittelte mir das Gefühl, dass sie gleich die Geduld mit mir verlieren würde, und wenn das geschah, schien sie mich einfach auszublenden. Es machte mir Angst, wenn sie das tat – als ahnte ich schon damals, dass es eine Art Probelauf für den Tag war, an dem sie uns dann verlassen würde.
    »Okay«, sagte ich und glitt aus dem Bett.
    Sie reichte mir meine Jacke. Ich zog sie einfach über den Schlafanzug und rechnete schon damit, dass sie es bemerken und sagen würde, ich solle mich richtig anziehen, doch sie war schon zu beschäftigt, ihre Kamera, ein Tuch und den Cowboyhut zusammenzusuchen. Es wirkte, als wollte sie sich richtig schick machen. Für Mom schien alles eine Bühne zu sein, wohin sie auch ging.
    Wir verließen die Wohnung und traten auf die unterirdische Straße, die durch unser Viertel führte. Der Donner war jetzt deutlich zu hören. Mit jedem neuen Krachen rie selte Staub von den Wänden der großen Höhle. Ich streckte die Hand aus, hoffte, dass Mom sie ergriff, doch sie winkte nur unseren Nachbarn zu.
    Auf der Straße hatte sich eine kleine Menschenmenge zusammengefunden. Alle wollten in dieselbe Richtung wie wir. In gewisser Weise hatten wir seit einem Jahr auf diesen Augenblick gewartet, selbst wenn wir gehofft hatten, er möge nicht kommen. Auch ein paar Kinder waren dabei, manche mit Taschenlampen und Decken. Meine Mutter war also nicht die Einzige, die diesen Drang verspürte, dem ich nichts abgewinnen konnte. Das gab mir nur noch mehr das Gefühl, unzureichend zu sein.
    Die öffentlichen Aufzüge waren stillgelegt, um Strom zu sparen, daher mussten wir die schmalen Treppen nach oben nehmen. Sie führten im Zickzack an der Wand empor, ächzten und zitterten unter der Last der vielen Menschen.
    Wir kamen auf einem Felsvorsprung am inneren Rand der Yellowstone-Caldera heraus, der eine weite Ebene überblickte. Es war eine dunkle, sternlose Nacht. Die ersten Wolken des Gewitters hingen bereits über uns. Wieder Donner. Heißer Wind peitschte unser Haar und unsere Kleider, bahnte sich grob seinen Weg durch die abendliche Kühle. Die schlanken Windräder über uns drehten sich wie wild und produzierten ein stetes Brummen.
    »Schau da«, sagte Mom. Sie und die anderen zeigten nach Westen, wo ein dunkles, orangerotes Glühen die Bäuche der Wolken erhellte. Ein großer Blitz zuckte herab und ließ ein paar ferne Kiefern in Flammen aufgehen. Das rote Licht erhellte Schluchten in den Wolkengebirgen, Canyons, die sich bis hoch in den Himmel erstrecken. Man nannte solche Wolken Pyrocumulus oder Feuerwolken. Die Gewitter wurden nicht von Regen begleitet, weil das bisschen Wasser in der Luft verdunstete, bevor es überhaupt den Boden erreichte – das Einzige, was bei uns ankam, waren Blitze.
    Dieses Gewitter aber war größer als alle vorherigen. Der Rauch des dreijährigen Feuers hatte ihm Nahrung gegeben – und nun hatte es uns schließlich eingeholt.
    Ich wollte nicht da draußen sein. Tatsächlich hatte ich wohl noch nie solche Angst gehabt. Ich wollte einfach nur wieder nach drinnen. Aber Nina, meine Mom, hielt ihren Hut fest und blickte dem sengenden Sturm mit der gleichen gebannten Erwartung entgegen wie ich einem Fußballspieler, der auf das Tor zurennt.
    Das Glühen nahm weiter zu, und dann sah man, wie sich die Flammen auf den weißen Masten der Windräder spiegelten.
    Zwei Jahre war das Feuer im Westen umhergewandert. Die ersten anderthalb Jahre hatten wir sein Alter noch in Monaten angegeben, wie bei einem Säugling, dann wurde es zu alt dafür. Es gab weder Geld noch Leute, ihm Einhalt zu gebieten, also brannte es immer weiter. Keiner

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