Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
gelegt, spürte Percy, wie sich in ihm jene kalte Wut zusammenbraute, die bisher nur wenige miterlebt hatten. Gott stehe Wyatt bei, wenn er Matthew tatsächlich wehgetan hat!, dachte Percy. Und mir selbst, wenn Miss Thompson die Wahrheit sagt! Er stellte den Wagen hinter dem Haus der Tolivers ab und betrat das Grundstück durch das schmiedeeiserne Tor. Sassie, die das Quietschen hörte, erwartete ihn an der hinteren Küchentür.
»Mister Percy, was machen Sie denn um diese Tageszeit hier? Miss Ollie ist noch im Geschäft, und Miss Mary hat draußen auf der Plantage zu tun.«
Wie immer , dachte Percy. »Ich bin nicht ihretwegen hergefahren. Ist Matthew da?«
»Ja. Oben in seinem Zimmer. Hatte heute wohl Probleme in der Schule. Jemand hat einen Stein nach ihm geworfen und ihn verletzt. Seine Kleider hätten Sie sehen sollen!«
»Hat es solche Probleme schon öfter gegeben, Sassie? Ist er je mit einem blauen Auge oder einer blutigen Nase heimgekommen?«
Sassies Miene verdüsterte sich. »Ja, Mister Percy, und diesmal sag ich Mister Ollie Bescheid. Ich kann einfach nicht glauben, dass der Junge so tollpatschig ist. Er behauptet, er fällt leicht hin. Zu Hause komischerweise nicht.«
»Wie schlimm ist die Wunde?«
»Noch ein bisschen tiefer, und ich hätte Doc Tanner rufen müssen.«
»Ruf ihn, Sassie, und bitte ihn, so schnell wie möglich zu kommen. Ich gehe in der Zwischenzeit hinauf zu Matthew, um mir die Verletzung anzusehen.«
»Da wird er sich freuen, Mister Percy. Nehmen Sie ihm
doch dieses Tablett mit der heißen Schokolade mit. Ihnen mach ich auch schnell eine. Der Junge liebt Schokolade noch mehr als sein Papa.«
Als Percy klopfte, rief Matthew mit jener hohen Jungenstimme »Herein!«, die Percy jedes Mal einen Stich versetzte. Matthew saß frisch gewaschen auf dem Bett, wo er seinen Baseball-Handschuh mit einer grässlich stinkenden Creme einfettete. Offenbar hatte er Sassie erwartet, denn er machte große Augen, als Percy mit dem Tablett eintrat. »Onkel Percy!«, rief er erstaunt, aber auch ein wenig erschrocken aus und versuchte hastig, den Handschuh hinter sich zu verstecken. »Was tust du denn hier?«
»Ich habe gehört, was heute in der Schule passiert ist«, antwortete Percy und schuf auf einem Tischchen Platz für das Tablett. Dann setzte er sich neben Matthew aufs Bett und drehte den Kopf des Jungen vorsichtig zu sich. »War das Wyatt?«
»Ein unglücklicher Zufall.«
»Und das?« Percy holte den aufgeschlitzten Handschuh hinter ihm hervor und hielt ihn hoch.
Matthew wandte schweigend den Kopf ab.
»Man hat mir erzählt, was geschehen ist. Angeblich hat Wyatt deinen Handschuh in die Jauchegrube geschleudert und dann mit einem Stein nach dir geworfen und dich am Kopf getroffen. Stimmt das?«
»Ja, Sir, aber jetzt ist alles wieder in Ordnung«, antwortete Matthew.
Percy inspizierte den Handschuh. Er war ruiniert. Zum letzten Weihnachtsfest hatte er den Jungen ähnliche Baseball-Handschuhe geschenkt, die für gutes Geld nach den Maßen ihrer Hände gefertigt und von Babe Ruth signiert worden waren. Zum Lohn hatte er von Wyatt ein seltenes Lächeln geerntet. »Danke, Dad. Das ist ein tolles Geschenk«, hatte er
strahlend gesagt. Dass Wyatts Stolz und Freude geschmälert würden, sobald er erfuhr, dass Percy Matthew das Gleiche schenkte, hatte er nicht ahnen können.
»Ich weiß, wo ich wieder einen herkriege«, sagte Percy zu Matthew. »Ein bisschen größer, aber deine Hand wird reinwachsen.«
»Nein, Sir«, widersprach Matthew. »Wyatts Handschuh würde ich nie nehmen. Der gehört ihm. Den hast du ihm geschenkt.« Eine kleine senkrechte Falte trat zwischen seine Brauen.
»Was ist, Sohn?«, fragte Percy, während er Matthews Züge genauer betrachtete, die denen seiner Mutter so sehr ähnelten. Nur selten bot sich ihm Gelegenheit, seinen älteren Sohn unbeobachtet aus der Nähe anzusehen, und in Ollies Gegenwart nannte er ihn niemals »Sohn«, nur »mein Junge«.
»Ich weiß nicht, warum Wyatt mich hasst«, sagte Matthew. »Ich habe mich bemüht, sein Freund zu sein, aber ich glaube, er meint, du magst mich lieber als ihn, und das … tut ihm weh, Onkel Percy.«
Eine fast unerträgliche Liebe zu diesem Kind, das er offiziell nicht das seine nennen durfte, erfüllte ihn. Welche Gene waren wohl für seine Fähigkeit zu Verstehen, Verzeihen und Toleranz verantwortlich? Mit Sicherheit nicht die seinen oder die von Mary. Er schenkte ihm eine heiße Schokolade ein und reichte ihm die
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