Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
Vom Netzwerk:
Mach auf!«
    »Ruhig, Ma«, rief Wyatt. »Es ist alles in Ordnung. Dad und ich brechen zu einem Ausflug auf.«
    Doch als Percy die Tür öffnete und Lucy sein Gesicht erblickte, war ihr klar, was ihr Mann vorhatte. »Percy, bitte«, flehte sie ihn an. »Er ist doch erst zwölf.«
    Percy schob sie beiseite. »Dann müsste er eigentlich vernünftiger sein.«
    »Percy! Percy!«, rief Lucy ihm nach und griff nach seinem Arm, als er, Wyatt in kerzengerader Haltung vor sich, die Treppe hinuntermarschierte. »Wenn du ihm was tust, verzeihe ich dir das nie. Niemals! Percy, hast du verstanden?«
    »Du hast weiße Rosen ja noch nie gemocht«, sagte er und folgte Wyatt nach draußen.
    Percy und Wyatt fuhren schweigend zu der Hütte im Wald. Die Sonne ging bereits unter, als sie sie erreichten, und tauchte die Zypressen am Seeufer in sanftes Licht. Percy holte den rostigen Schlüssel unter einem Blumentopf hervor, in dem Mary einst Geranien gepflanzt hatte, und schloss die Tür auf.
    Drinnen zog er die Jacke aus. »Miss Thompson war heute bei mir. Sie sagt, du hättest Matthews Baseball-Handschuh aufgeschlitzt und in die Jauchegrube geschleudert. Und als er ihn holen wollte, hast du einen Stein nach ihm geworfen und ihn am Kopf getroffen. Er hat das Gleichgewicht verloren und ist in den Dreck gefallen. Warum, Wyatt?«
    Wyatt stand breitbeinig und mit ausdrucksloser Miene in der Mitte der Hütte, von deren Existenz er bis dahin nichts geahnt hatte. Als er schwieg, herrschte sein Vater ihn an: »Antworte mir!«
    »Weil ich ihn hasse.«
    »Und wieso?«
    »Das ist meine Sache.«
    Percy hob verwundert die Augenbrauen. Zwölf Jahre alt und schon stahlhart. Er hatte Trenton Gentrys Augen, genauso blau wie die seiner Mutter, allerdings kleiner und näher beisammen, wie die des Mannes, den Percy verachtete. Wyatt wich seinem Blick nicht aus, als er begann, einen Ärmel hochzukrempeln. Eins musste man ihm lassen, dachte Percy
widerwillig, ein Feigling war er nicht. Ein Rüpel, aber kein Feigling.
    »Ich sag dir, warum du ihn hasst«, meinte Percy. »Weil er freundlich und rücksichtsvoll und sanftmütig ist. Damit scheint er deinen Erwartungen an einen Jungen nicht zu genügen, aber weißt du was, Wyatt? Er ist genauso männlich, wie du es glaubst zu sein.«
    »Das weiß ich.«
    Diese Antwort hatte Percy nicht erwartet. »Wieso dann dein Hass?«
    Ein Achselzucken und ein kurzes Flattern der Wimpern.
    »Offenbar geht das schon eine ganze Weile so«, sagte Percy und rollte den anderen Ärmel hoch. »Er kommt immer wieder mit blauen Flecken und Blessuren nach Hause, die du ihm zufügst. Stimmt das?«
    »Ja, Sir.«
    »Obwohl du größer und stärker bist als er?«
    »Ja, Sir.«
    Percy musterte seinen Sohn erstaunt, unfähig, diese verblüffende Mischung aus Gleichgültigkeit und Aufrichtigkeit zu deuten. Mit seinen zwölf Jahren war Wyatt bereits über eins achtzig groß und hatte fast die breiten Schultern seines Vaters. »Du bist neidisch auf Matthew, oder?«
    »Na und? Was kümmert’s dich?«
    »Pass auf, was du sagst, junger Mann. Und deiner Mutter wirst du auch nicht mehr den Mund verbieten wie eben im Haus, verstanden?«
    »Warum? Du tust ihr Schlimmeres an.«
    Da überkam Percy blinde Wut, und er konnte nur noch an den aufgeschlitzten Baseball-Handschuh und den Verband um Matthews Kopf denken. Er sah Liebe in den grünen Augen und Hass in den blauen.
    Percy ballte die rechte Hand zur Faust und griff mit der
Linken nach den Jackenaufschlägen des Sohnes, den er nicht kannte, nicht liebte und nicht als den seinen akzeptierte. »Ich will dir zeigen, wie es ist, von jemandem verprügelt zu werden, der größer und stärker ist als man selber«, zischte er und schlug zu.
    Der Fausthieb schleuderte Wyatt zu Boden, gegen die Couch. Aus seiner Nase und von seiner aufgeplatzten Lippe tröpfelte Blut. Percy ging hinaus, um Wasser zu holen, und kehrte mit Eimer und Handtuch zurück. »Hier«, sagte er und warf seinem Sohn das feuchte Handtuch ohne Mitleid oder Gewissensbisse zu. »Wisch dir das Gesicht ab. Und, Wyatt …« Percy hievte ihn auf das Sofa. »Wenn du deinen …« Schon zum zweiten Mal an diesem Tag musste Percy sich beherrschen, nicht »deinen Bruder« zu sagen. »… Nachbarn und Klassenkameraden noch einmal auch nur schief ansiehst, sorge ich dafür, dass du nie wieder jemanden tyrannisierst. Verstanden?« Percy starrte in das blutige Gesicht seines Sohnes.
    Ein Nicken, dann: »Ja, Sir.«
    Als sie nach Hause zurückkehrten,

Weitere Kostenlose Bücher