Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
sein.«
Percy sah seinen Freund an – den Mann, der wusste, dass da sein Sohn und Wyatts Bruder im Sterben lag – und brachte vor Dankbarkeit und Angst kein Wort heraus. Genauso dankbar war er für Wyatts Gesellschaft im Krankenzimmer und im Schlafraum, in dem sie sich in getrennten Betten bis zum frühen Morgen herumwälzten, bis Percy endlich erleichtert das Schnarchen seines Sohnes hörte.
Wyatt war es, den Matthew in der letzten Stunde seines Lebens sehen wollte. Percy rief ihn vom Flur herein, wo er auf und ab lief wie ein wütender Stier, die breiten Schultern nach vorn gebeugt, den zerzausten Kopf hängend, die Hände tief in den Taschen vergraben.
»Matthew fragt nach dir, Sohn«, sagte er mit sanfter Stimme, und Wyatt trat wortlos und ohne den Blick seines Vaters zu erwidern ein.
»Hey, Wyatt«, begrüßte Matthew ihn.
»Hey auch.«
»Wie läuft’s im Training?«
»Nicht so gut ohne dich.«
»Ich mach wieder mit, wenn’s irgendwie geht.«
Da stürzte Wyatt zu ihm und rückte einen Stuhl an sein Bett. »Kein Wenn«, sagte er. »Wir brauchen dich, Mann. Ich brauche dich.«
Matthew schwieg eine ganze Weile, bevor er flüsterte: »Ich komme zurück. Vielleicht kannst du mich dann nicht mehr sehen, aber ich bin da. Reiß weiter Lücken in die Reihen des Gegners für mich.«
»Nein …«, stöhnte Wyatt, ergriff Matthews Hand und drückte sie an seine Brust, als könnte er den Tod daran hindern, ihm seinen Freund zu entreißen. »Nein, Matthew … Du darfst mich nicht allein lassen, Mann.«
Mary wandte sich mit schreckgeweiteten Augen ab; Percy und Ollie neigten die Köpfe. Zum ersten Mal wurde ihnen klar, dass Matthew um seinen nahenden Tod wusste.
Am Ende waren alle, die ihn liebten, bei ihm. Sassie und Toby verharrten mit feuchten Augen an der Tür, Abel beobachtete die Vorgänge von einem Stuhl in der Ecke aus mit ausdrucksloser Miene, Wyatt, Mary und Ollie standen neben seinem Bett. Percy betrachtete ein wenig abseits durchs Fenster die Sonnenstrahlen in den moosbewachsenen Zypressen, die Silas William Toliver ein Jahrhundert zuvor vom Caddo Lake mitgebracht hatte. Laut Familienlegende der Tolivers hatte niemand ein Überleben dieser Bäume erwartet; doch alles, was die Tolivers auf ihrem Grund pflanzten, überdauerte sämtliche Katastrophen. Nur die Kinder der Tolivers starben.
»Dad …«
Percy hatte Mühe, sich nicht umzuwenden. Ollie antwortete: »Ja, ich bin hier, mein Junge.« Percy hörte seinen Stuhl knarren, als er sich tiefer über den Kranken beugte. Draußen verschwammen unterdessen die septemberlichen Farben zu einem Meer aus Blau und Gold. Die Zypressen schienen zu weinen.
»Mach dir keine Gedanken, Dad«, sagte Matthew mit bemerkenswert klarer Stimme. »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Den Himmel stelle ich mir vor wie hier und Gott wie dich.«
Als Percy sich umdrehte, sah er gerade noch das letzte Aufflackern in den grünen, auf Ollie gerichteten Augen.
DREIUNDVIERZIG
P ercy hatte den Eindruck, dass Mary ihren Platz am Salonfenster, das auf den wiederhergestellten Rosengarten ging, in den folgenden Tagen überhaupt nicht mehr verließ. Morgens, mittags und abends sah er sie dort stehen, den Rücken zum Zimmer, die Hände um die Ellbogen gelegt, in sich versunken. Er war machtlos, konnte nicht in die Augen der trauernden Mutter seines Sohnes blicken, ohne die Trauer des Vaters in den seinen zu verraten.
Percy, Ollie und Sassie empfingen die Trauergäste und nahmen die Telegramme sowie die Lebensmittel- und Blumengaben entgegen, während Mary am Fenster Wache hielt und auf die Beileidsbezeigungen oft nur mit einem kurzen Nicken reagierte.
»Chérie …«, versuchte Ollie sie zu trösten und umfing ihre starren Schultern, glättete ihre Haare und ließ die Lippen über ihre Wangen gleiten.
Schließlich hielt Percy es nicht länger aus, wie sie sich an diesem Fenster zu Stein zu verwandeln schien, und ging mit einem Korb voller Kondolenzbriefe von Matthews Klassenkameraden zu ihr. »Mary?«, sagte er mit leiser Stimme und legte eine Hand auf ihre Schulter. Zu seiner Überraschung ergriff sie sie, als hätte sie nur auf diese Geste gewartet, und presste sie gegen ihre Brust. Sie waren allein im Haus. Ollie arbeitete im Geschäft, und Sassie kaufte auf dem Markt ein.
»Ich dachte, es ist Überanstrengung, Percy. Du weißt ja, wie hart die Jungen trainieren und wie sehr es sie in den ersten
Wochen der Saison auslaugt, bei schwülem oder heißem Wetter in Schuluniform
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