Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Familie.« Damals war sie neun Jahre alt.
    Im folgenden Frühjahr präsentierte sich ihr inzwischen vergrößerter Garten mit einer Vielzahl von Gemüsen und Früchten, die in Geschmack und Aussehen die aus Zack Mitchells Lebensmittelladen weit übertrafen. Dieser Erfolg bewog Rachels Vater dazu, sie in jenem schicksalhaften Sommer des Jahres 1966 zu einem zweiten Besuch nach Howbutker mitzunehmen. Rachel sollte später nie das Gespräch oder eher die (für ihre Eltern ungewöhnliche) Auseinandersetzung vergessen, die sie damals, Mitte Juni, zufällig belauschte. Sie war nach dem Essen hinausgegangen, um ihre Pflanzen mittels eines mit dem Hahn unter dem Küchenfenster verbundenen
Schlauchs zu gießen. Da das Fenster offen stand, hörte sie ihre Mutter fragen: »Was willst du beweisen, indem du mit Rachel nach Howbutker fährst, William? Dass sie tatsächlich eine Baumwoll-Toliver ist und das Interesse für Tomaten und Okra ihr im Blut liegt?«
    »Warum nicht?«, fragte William zurück. »Nehmen wir mal an, dass Rachel eine zweite Mary Toliver ist. Nehmen wir des Weiteren an, dass sie geeignet wäre, Somerset nach Tante Marys Tod zu führen. Das hieße doch, die Plantage könnte in der Familie bleiben und müsste nicht verkauft werden.«
    Rachel hörte, wie ein Besteckteil mit metallischem Klang in der Spüle landete. »William Toliver, hast du den Verstand verloren? Der Erlös für die Plantage würde für ein besseres Haus und ein sorgenfreies Alter ausreichen. Wir könnten reisen, und du könntest dir den Wohnwagen leisten, den du schon so lange möchtest. Du müsstest endlich nicht mehr hinter der Fleischtheke stehen.«
    »Alice«, seufzte William. »Wenn in Rachels Adern tatsächlich Toliver-Blut fließen sollte, kann ich ihr Erbe, das sich schon seit Generationen in der Familie befindet, nicht einfach verkaufen.«
    »Und was ist mit Jimmys Erbe?«, fragte Alice mit bebender Stimme.
    »Das hängt von Tante Mary ab. Mein Gott, Alice, es ist doch nur ein Besuch . Rachels Leidenschaft könnte sich durchaus als vorübergehende Laune entpuppen. Sie ist erst zehn. Nächstes Jahr merkt sie vielleicht, wie hübsch sie ist, und interessiert sich dann für Jungs oder Musik oder weiß Gott was.«
    »Rachel hat sich nie für solches Mädchenzeug interessiert, und ich bezweifle, dass sie jemals merken wird, wie hübsch sie ist.«
    Rachel hörte, wie ein Stuhl vom Tisch weggerückt wurde. »Ich nehme sie mit, Alice. Sie hat ein Recht darauf. Wenn das
Mädchen diese Berufung besitzt, möchte ich sie nicht von ihrer Verwirklichung abhalten, sondern sie ihr ermöglichen.«
    »Und, wenn du mich fragst, dein Gewissen beruhigen. Mit Rachel kannst du wiedergutmachen, dass du damals vor deiner Tante weggelaufen bist.«
    »Das hat Tante Mary mir schon verziehen«, erwiderte William ziemlich verletzt.
    »Rachel nach Howbutker mitzunehmen ist ein Fehler, den wir alle noch bedauern werden, William Toliver. Vergiss das nie.«
    Im Juni begleitete Rachel, wie ihre Großtante mit khakifarbener Hose, Buschjacke und Strohhut aus dem DuMont Department Store bekleidet, Mary jeden Tag hinaus zur Plantage. Rachel hatte noch nie etwas Atemberaubenderes gesehen als die schier endlosen Reihen grüner Pflanzen. »Und das gehört alles dir, Tante Mary?«
    »Mir und denen, die das Land dem Wald abgetrotzt haben.«
    »Wer waren sie?«
    »Unsere Toliver-Ahnen, deine und meine.«
    »Meine auch?«
    »Ja, mein Kind. Du bist eine Toliver.«
    »Erklärt das, warum ich gern mit Pflanzen umgehe?«
    »Vermutlich.«
    Tante Marys knappe Antwort bestätigte, was Rachels Vater ihr vor ihrem Besuch erklärt hatte: »Du bist eine echte Toliver, Häschen. Anders als Jimmy, ich oder mein Vater. Wir tragen alle diesen Namen, aber nur in dir und Tante Mary fließt echtes Toliver-Blut.«
    »Was bedeutet das?«
    »Dass ihr die Kraft geerbt habt, die die Tolivers seit der Gründung von Howbutker und der Rodung des Grundes von Somerset auszeichnet.«
    »Somerset?«
    »Eine Baumwollplantage. Die letzte ihrer Art in East Texas … ein ziemliches Stück größer als dein Garten.« Dabei hatte ihr Vater gelächelt. »Die führt deine Großtante seit ihrer Jugend.«
    Der Besuch fand während der etwa dreiwöchigen Baumwollblüte statt, deren Schönheit Rachel entzückte, wenn sie und Mary auf die Felder hinausritten. Mary erklärte Rachel, dass die Blüten innerhalb von drei Tagen abfallen und sich von Cremeweiß zu Rosa und schließlich Dunkelrot verfärben. Sie brachte Rachel