Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
eingeschärft, vorerst keine Anfragen der Presse zu beantworten.
Der größte Teil der Telefonliste war abgearbeitet, als Henry den Kopf zur Tür hereinstreckte. »Miss Rachel, diesen Anruf wollen Sie bestimmt selbst entgegennehmen. Leitung zwei.«
»Wer ist dran, Henry?«
»Matt Warwick.«
Rachel ging sofort ran. »Matt Warwick!«, rief sie erfreut aus. »Ganz schön lange her, dass wir uns das letzte Mal gehört haben.«
»Zu lange«, pflichtete Matt ihr bei. »Leider ist der Anlass kein schöner. Hast du mein Taschentuch noch?«
Ein Lächeln spielte um Rachels Mund. Er erinnerte sich also an ihr letztes Treffen. Sie betrachtete das Taschentuch, das sie für ihn mitgebracht hatte. »Ich halte es gerade in der Hand«, antwortete sie. »Eigentlich wollte ich es schon längst zurückgeben.«
»Erstaunlich, dass wir bisher keine Gelegenheit dazu hatten. Man könnte meinen, das Schicksal halte uns bewusst auf Distanz. Aber das lässt sich ändern. Opa ist endlich eingeschlafen,
nachdem er fast die ganze Nacht wachgelegen hat; ich stünde also zu deinen Diensten. Soll ich dich irgendwohin chauffieren? Oder ein paar Kasserollen entgegennehmen, während du dich ausruhst?«
Es war, als hätte sich ein starker, tröstender Arm um ihre Schultern gelegt, wie damals, beim Tod von Onkel Ollie. Rachel warf einen Blick auf die Notizen, die sie sich über ihre Gespräche gemacht hatte. »Wie wär’s, wenn du mich zum Bestattungsinstitut bringst? Dort wartet man auf Tante Marys Kleid für den Sarg.«
»Klar. Wollen wir zuerst was essen gehen?«
»Gern. In einer halben Stunde?«
Über die Gegensprechanlage teilte Rachel Sassie mit, sie werde eine Weile weg sein und auswärts essen. Dann holte sie ihr Schminktäschchen hervor, um die Spuren einer schlaflosen Nacht voller Tränen zu beseitigen. Dabei spürte sie Vorfreude in sich aufsteigen. Es war zwölf Jahre her, dass sie das letzte Mal Schmetterlinge im Bauch gehabt hatte. Der einzige Lichtblick der Beisetzung von Onkel Ollie 1973 in Howbutker war die Begegnung mit dem attraktiven, selbstbewussten Matt Warwick gewesen, der sich nur leider ihr gegenüber enttäuschend kühl verhalten hatte. Der Grund für seine Zurückhaltung hatte sich allerdings während des Umtrunks nach der Trauerfeier geklärt, als er sie weinend in der Laube entdeckte.
»Hier«, sagte er damals nicht übermäßig freundlich und streckte ihr ein Taschentuch hin. »Sieht aus, als könntest du das gebrauchen.«
Sie bedankte sich und hielt es sich, verlegen darüber, dass er sie in einem solchen Zustand sah, vors Gesicht.
»Du weinst nicht nur über den Tod von Onkel Ollie, oder?«, stellte er fest, worauf sie den Kopf hob und ihn mit geröteten Augen ansah. Woher wusste er, dass auch ihre
Schuldgefühle eine Rolle spielten, Onkel Ollie und ihrer Mutter gegenüber, der sie am Morgen mitgeteilt hatte, sie werde in Howbutker bleiben?
»Ich glaube nicht, dass ich dir das verzeihen kann, Rachel«, hatte diese gesagt.
»Mama, bitte versuch doch, mich zu verstehen. Tante Mary ist jetzt ganz allein und braucht mich.«
»Wir wissen beide, warum, oder?«
»Es wird sich schon alles einrenken, Mama.«
»Nein, Rachel, das wird es nicht.«
Matt setzte sich mit ungerührter Miene neben Rachel auf die Schaukel. »Hat deine Stimmung möglicherweise damit zu tun, dass du die DuMonts drei Jahre lang aus deinem Leben verbannt und ihnen das Herz gebrochen hast? Besonders das von Mister Ollie. Der war völlig vernarrt in dich.«
Rachel fing zu schluchzen an. »Ach, Matt, mir ist doch nichts anderes übrig geblieben!« Zu ihrer eigenen Überraschung erzählte sie ihm alles, offenbarte ihm die Familiengeheimnisse, die zu dem Versprechen an ihre Mutter geführt hatten, und ihren Schmerz über die Trennung von Tante Mary und Onkel Ollie sowie den Verzicht auf ihren Garten und ihren Traum, Farmerin zu werden. Und nun war auch noch Onkel Ollie gestorben, ohne zu erfahren, wie sehr sie ihn geliebt hatte!
Irgendwann legte sie den Kopf weinend an Matts Schulter, und nach einer Weile war das Taschentuch genauso nass wie das Revers seines marineblauen Blazers.
Als sie sich schließlich wieder ein wenig fing, meinte er: »Dein Onkel Ollie war ein sehr kluger und verständnisvoller Mann. Bestimmt schaut er jetzt von oben runter und sagt sich: › Mon dieu! Wusst ich’s doch, dass Rachel nicht grundlos wegblieben ist.‹«
Sie sah ihn mit feuchten Augen an. »Glaubst du wirklich?«
»Ja, da gehe ich jede Wette
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