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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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geschieden. Voller Mitgefühl für die Eltern und Geschwister klappte Mary den Band zu und legte ihn in die Schublade unter der Fensterbank. Dann schlüpfte sie, um ihre Laune zu heben, aus Kittelschürze und Kleid und stellte sich vor ihren Ganzkörperspiegel. Der Anblick gefiel ihr. Vielleicht war sie nicht gerade »klein und zierlich« und hatte auch keine »Rundungen an den richtigen Stellen«, aber sie wusste, dass sie einen gewissen Reiz ausübte und ihr groß gewachsener, geschmeidiger Körper wie geschaffen war zum Kinderkriegen. Ihre Periode kam immer auf den Tag genau. Ihr Vater hätte sich keine Gedanken über ihre Fruchtbarkeit oder die Langlebigkeit ihrer Kinder machen müssen. Egal, was er geglaubt hatte oder was in dem Buch stand: Auf den Tolivers lag kein Fluch. Was den Erben widerfuhr, war normal für die Zeit, in der sie lebten. Auch Percy und Ollie waren die einzigen Nachkommen ihrer jeweiligen Familien. Lastete auf ihnen etwa ebenfalls ein Fluch? Natürlich nicht. Mary ließ die Hände über die straffe Haut zwischen ihren vollen Brüsten und ihren schmalen Hüften gleiten. Und Percy Warwick konnte sich die Mühe sparen zu denken, dass sie sich in jemanden verliebte, der nicht bereit war, sie mit der Plantage zu teilen. Sie würde keinen zweiten Blick auf einen solchen Mann werfen und niemanden heiraten, der sie von ihrer Berufung abzuhalten versuchte. Ihr künftiger Ehemann würde ihr helfen, die Linie der Tolivers fortzusetzen und Somerset für das kommende Jahrhundert bereit zu machen. Die Idee mit dem Fluch war einfach absurd.

ACHT
    Atlanta, Juni 1917
     
    M ary schloss erleichtert den letzten Koffer. Gott sei Dank, das Ende ihres Gefangenendaseins in Bellington Hall. Endlich war das Jahr vorüber, und sie konnte nach Hause. Nur noch drei Tage, dann würde sie wieder den Fuß auf heimischen Boden setzen und nie mehr fortgehen müssen. Mit einem Ruck hievte sie den Koffer vom Bett. Auch wenn ihr dieses Jahr in Bellington sonst nichts gebracht hatte: Immerhin fühlte sie sich bestätigt in dem Bewusstsein, dass sie nirgends anders sein wollte als in Howbutker und nichts anderes werden wollte als Baumwollpflanzerin.
    Wo steckte nur Lucy? Sie würde nicht dulden, dass sich ihre Abreise durch sie verzögerte. Vermutlich hatte die Schulleiterin ihr irgendetwas aufgetragen, damit sie nicht rechtzeitig auftauchte. Aber wenn Miss Peabody meinte, sie würde ihren Zug verpassen, um sich von ihrer Zimmergenossin verabschieden zu können, täuschte sie sich.
    Mary schleppte den Koffer zur Tür und stellte ihn davor ab, damit er mit den anderen vom Pedell abgeholt würde. Sie verließ den Flügel als Letzte. Auch dafür hatte Miss Peabody gesorgt; offenbar war dies ihr abschließender Versuch, den Schutzpanzer zu durchbrechen, den Mary sich gegen Bellington Hall im Allgemeinen und die Schulleiterin im Besonderen zugelegt hatte.
    Alle Türen zu den leeren Zimmern standen offen; nur noch der Nachhall von Mädchenstimmen lag in der Luft. Mary
verharrte lauschend. Bereits jetzt hatte sie Mühe, sich an die Gesichter der jungen Frauen zu erinnern, die im selben Flügel gewohnt hatten wie sie. Obwohl alle in ihrem Alter, waren sie ihr schrecklich jung erschienen, und ihre Gehirne waren voll von dem Unsinn gewesen, mit dem die Lehrer auch das ihre hatten füllen wollen. Mary spürte förmlich die Genugtuung der anderen darüber, dass sie das Gelände als letzte Schülerin verlassen musste.
    Nur Lucy freute sich nicht darüber.
    Unvermittelt bekam Mary ein schlechtes Gewissen. Schämen sollte sie sich für die Hoffnung, dass Lucy es nicht schaffen würde, sich von ihr zu verabschieden! Doch Lucy würde aus dem Abschied ein tränenreiches Ereignis machen, und davon hatte sie ihrer Mitbewohnerin bei Gott bereits hinlänglich viele beschert.
    Außerdem erwartete Mary zu Hause genug emotionales Chaos. In Somerset schien sich alles aufzulösen. Wie befürchtet, hatte Miles die Stellung des Grundbesitzers aufgeweicht, die so lange Gegenstand hitziger Diskussionen mit ihrem Vater gewesen war – mit vorhersehbarem Ergebnis. Im März hatte Mary sich an Len gewandt, weil Miles ihr in seinen seltenen Briefen nur wenig über Somerset mitteilte. Der Aufseher hatte postwendend geantwortet und ihr die traurigen Zustände in Somerset beschrieben.
    Um zu beweisen, dass eine lockerere Führung der Pächter allen nützen würde, hatte Miles Len empfohlen, sich mehr Freizeit zu gönnen und angeln zu gehen. Die Pächter bräuchten

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