Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
Dampfwolke in den Himmel erhob. Wie sehr hatte Percy Warwick, der Goldjunge der Stadt, sich verändert? Würde er noch so unbeschwert, fröhlich und zuversichtlich sein wie früher? Und würde er sie nach wie vor heiraten wollen?
Ihr wurde heiß bei dem Gedanken an ihren Abschied zwei Jahre zuvor, als er sie just auf diesem Bahnsteig vor den Augen aller umarmt hatte. In der Zeit zwischen ihrer eigenen Heimkehr und seiner Abfahrt zur Offiziersausbildung und dann in den Wochen zwischen seiner Rückkehr und seiner endgültigen Abreise nach Europa hatte sie ihn nicht oft gesehen. Selbst wenn sie nicht jeden Tag auf der Plantage verbracht und jeden Abend versucht hätte, den tieferen Sinn von Miles’ Buchhaltung zu ergründen, wäre er vermutlich nicht vorbeigekommen. Er hatte bewusst Distanz gehalten, da war sie sich sicher, in der Hoffnung, dass der tägliche Kampf um Somerset sie bis zu seiner Heimkehr zermürbt hätte.
»Meine Pläne sind unverändert, Mary«, hatte er an jenem Tag gesagt. »Wenn ich zurückkomme, möchte ich dich heiraten.«
»Nicht, wenn das bedeutet, dass ich auf Somerset verzichten muss.«
»Bis dahin wird es dir nicht mehr so wichtig sein.«
»O doch, Percy. Damit wirst du dich abfinden müssen.«
»Ich finde mich lediglich damit ab, dass wir ein Paar werden.«
»Warum?«, hatte sie ihn gefragt und versucht, sich sein in der Sonne glänzendes Haar, seine tiefbraune Haut und seine strahlend klaren Augen einzuprägen. »Ich bin zu dem Schluss
gekommen, dass das zwischen uns … nur Lust ist. Ich glaube, du magst mich nicht mal sonderlich.«
Er hatte gelacht. »Was hat das mit Mögen zu tun? Natürlich ist es Leidenschaft, aber heiraten möchte ich dich, weil ich dich liebe, schon dein ganzes Leben lang, seitdem du mir das erste Mal durch das Wiegengitter zugelächelt hast. Ich wollte nie eine andere heiraten.«
Sie hatte ihm ungläubig staunend gelauscht. Percy, der jede Frau haben konnte, liebte sie seit ihrer Geburt? Wieso war ihr das entgangen?
In den sechsundzwanzig Monaten seiner Abwesenheit hatte sie jene Szene Tausende von Malen vor ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen, wie er seinen Hut aufgesetzt, seinen Arm um ihre Taille gelegt, sie zu sich herangezogen und leidenschaftlich geküsst hatte und wie sie sich mit einem tiefen Blick voneinander verabschiedet hatten. Das verwunderte Schweigen um sie herum, der erstaunte Ausdruck ihres Bruders, Beatrices fragend gehobene Augenbrauen, Abels Verlegenheit und schließlich … Ollies resigniertes Lächeln, der zu ihr getreten war, nachdem Percy sich zu seinen Eltern gesellt hatte – an all das erinnerte sie sich.
»Mach dir keine Gedanken, Mary«, hatte er ernst gesagt. »Ich sorge dafür, dass er heil wieder nach Hause kommt.«
»Lieber Ollie …« Fast wäre ihr die Stimme gebrochen. Erst da war ihr bewusst geworden, was sie bis dahin in ihrer Konzentration auf sich selbst nicht gemerkt hatte: Ollie liebte sie ebenfalls. Und nun verabschiedete er sich aus dem Rennen und überließ Percy das Feld.
»Pass auch auf dich selber auf, Ollie«, hatte sie erwidert und ihn fest an sich gedrückt.
Seit dem Eintreffen des Telegramms, das sie über Ollies Verwundung informiert hatte, hegte sie einen Verdacht. Aus den wenigen späteren Briefen hatten die Familien lediglich
erfahren, dass Percy und Ollie gemeinsam auf Patrouille gewesen waren, als eine Granate ganz in ihrer Nähe einschlug. In den dunklen Stunden ihrer schlaflosen Nächte war Mary immer wieder folgende Frage durch den Kopf gegangen: War es möglich, dass Ollie sich für Percy geopfert hatte?
Da nahm sie aus den Augenwinkeln ein malvenfarbenes Kleid neben sich wahr, und sie wandte sich irritiert ihrer früheren Zimmergenossin zu. »Lucy, bitte dräng dich nicht vor, wenn die Warwicks ihren Sohn umarmen wollen.«
Lucys blaue Augen wurden vor verletztem Stolz dunkel. »Traust du mir das wirklich zu, Mary Toliver? Gerade du solltest meine Gefühle für Percy doch nachvollziehen können.«
»Es gibt wohl kaum noch jemanden, der die nicht kennen würde.«
»Du weißt ganz genau, was ich meine.« Sie fuhr mit gesenkter Stimme fort, damit die Warwicks nicht hörten, was sie sagte. »Mir ist bewusst, dass ich ihn nie für mich gewinnen kann. Aber was sollte mich daran hindern, ihn zu lieben, für ihn zu beten und mich darüber zu freuen, dass er heil nach Hause gekommen ist, bis er sich in eine andere verliebt?«
»Dein Stolz vielleicht?«, meinte Mary.
»Stolz?« Lucy
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