Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
prächtigen Rosengarten. Nur wenige Sträucher hatten den brutalen Angriff ihrer Mutter mit einem Stemmeisen ein paar Abende nach Verlesung des Testaments unbeschadet überstanden. Toby hatte die abgetrennten roten und weißen Blüten und die zerfetzten Stiele früh am folgenden Morgen gefunden und sich gleich auf die Suche nach der Waffe gemacht, weil er fürchtete, dass seine Herrin auf die Idee käme, ihrer schlafenden Tochter die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen.
Anstelle der Rosensträucher wuchsen nun Unkraut und Gras; davor stand ein Spalier, das schon lange hätte gestrichen werden müssen. Nur noch ein paar Rosenblüten hielten sich jetzt am Ende des Sommers an spindeligen Stielen.
Im ganzen Haus gab es keinen Alkohol mehr; Mary wünschte, sie hätte daran gedacht, Toby eine Flasche Champagner zur Feier der Heimkehr ihres Bruders besorgen zu lassen. Dann hätten sie zu zweit im Salon das Glas erheben können.
Nicht, dass da viel zu feiern gewesen wäre. Ihr Bruder war nun ein kranker, mürrischer Mann und ihr noch fremder als vor dem Krieg. Auf der Heimfahrt hatte er feindselig geschwiegen und nur hin und wieder in sein Taschentuch gehustet. Zu Hause hatte er seinen Seesack neben der Tür
abgestellt, als wollte er nur kurz Zwischenstation machen, um seine Mutter zu sehen, bevor er in den nächsten Krieg zog. Sassie begrüßte er mit einer herzlichen Umarmung, doch die Mahlzeit, die sie ihm zu Ehren zubereitet hatte, ließ er auf dem mit dem besten Geschirr gedeckten Tisch kalt werden. »Ich habe keinen Appetit«, sagte er. »Ich esse später ein Sandwich in meinem Zimmer.«
Und der arme Ollie. Seine gespielte Fröhlichkeit war gewichen, sobald sie sich von den vielen Menschen entfernt hatten und im neuen Cadillac seines Vaters saßen. Abel hatte den eleganten Wagen als Willkommensgeschenk gekauft, das der einbeinige Ollie nun nicht fahren konnte. Abels Schock über die Amputation saß tief. Er wirkte alt und müde, als er die kleine Gruppe zu dem Cadillac führte, der neben dem Packard zwischen Howbutkers weniger modernen Fahrzeugen geparkt stand.
Und schließlich Percy. Er verdankte Ollie sein Leben. Wusste Percy von Ollies Versprechen an Mary? Hatte Ollie sich ihretwegen schützend vor Percy geworfen? Die beiden standen sich näher als Brüder. Möglicherweise hatte Ollie aus Zuneigung zu seinem besten Freund ganz instinktiv gehandelt, ohne überhaupt an das Versprechen zu denken. Aber falls doch: Wie sah Marys Verpflichtung den beiden gegenüber aus?
Nach dem Gespräch mit Percy am Abend würde sie klarer sehen. Die Antwort auf ihre drängendste Frage kannte sie allerdings schon: Percys Gefühle für sie waren unverändert.
Genau wie die ihren für ihn. Sie hatten sich in seiner Abwesenheit sogar noch verstärkt.
Jeden Morgen war sie mit dem Gedanken an ihn aufgewacht und jeden Abend mit der Sorge um ihn zu Bett gegangen. Manchmal war sie mitten in der Nacht aus Albträumen über Percys Tod hochgeschreckt. Das erschien ihr
noch schlimmer, als hätte sie vom Verlust der Plantage geträumt.
Sie befand sich in der Zwickmühle. Percy erwartete sicher, dass sie den Gedanken an die Weiterführung Somersets inzwischen ad acta gelegt hatte, doch sie war entschlossener denn je, das Anwesen zu halten. Diesen Lohn für ihre zahllosen Opfer hatte sie sich verdient. Nach Miles’ Abreise, der Emmitt Waithe als seinen Stellvertreter für die Zeit seiner Abwesenheit einsetzte, hatte sie Jethro Smart, den Nachfolger des Aufsehers Len Deeter, gefeuert und selbst dessen Aufgaben übernommen, was manchmal achtzehn Stunden Arbeit am Tag bedeutete. Mit Emmitts Unterstützung und unter ihrer kompromisslosen Führung begann Somerset allmählich, Gewinn abzuwerfen. So konnte sie die Hypothekenraten erhöhen und die Bankschulden vor der vertraglich vereinbarten Frist abzahlen.
Deshalb blieb nur Geld für das Allernötigste. Mary wusste, dass Miles betrübt wäre über den heruntergekommenen Zustand des Herrenhauses, doch der Tag würde kommen, an dem sie alles renovieren und ihren Einspänner durch ein Automobil ersetzen könnten.
Wenn keine weiteren Ausgaben für die Behandlung ihrer Mutter anfielen und die Ernte so gut würde wie vorhergesagt, hätte sie Geld, mit dem sich der Ertrag steigern ließe. Bereits jetzt, so kurz nach Kriegsende, besannen sich Industrie und Wissenschaft wieder auf die Bedürfnisse der Farmer. Neue Anbaumethoden wurden erprobt, und effizientere Ausstattung, verbessertes Saatgut sowie
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