Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
setzen.
Als der Plantagenbesitzer ihr dieses Angebot zwei Stunden später unterbreitete, sah Mary ihn mit offenem Mund an. Sie tranken gerade im Arbeitszimmer des kleinen Herrenhauses den Kaffee nach dem Essen. »Die First Bank of Boston will Fair Acres kaufen?«, wiederholte Mary.
»Ja, Mary. Aber …« Der alte Pflanzer, mit siebzig noch immer ein allseits bekannter Charmeur, legte die Fingerspitzen zusammen. »… ich habe noch nicht zugestimmt. Ich möchte dir die Chance geben, die Plantage zu erwerben und deinen Grund zusammenzuführen.«
Mary hätte am liebsten laut aufgeheult. Die Somerset-Hypothek lag bei der First Bank of Boston, die nur darauf wartete, dass Mary ihre Raten nicht mehr zahlen konnte. Und falls das nicht passierte, lieferte Fair Acres der Bank einen Zugang zu einem der Hauptwasserwege, was diese Plantage zur wertvollsten in Osttexas machte, dreimal wertvoller als ihr Kaufpreis. Warum sonst hätte die First wohl jenen Grund erwerben wollen, wenn auch andere Baumwollplantagen zum Verkauf standen? Mary schnürte es die Kehle zu.
Mary betrachtete die Banken mittlerweile als persönlichen Feind, der es darauf abgesehen hatte, Familien wie die ihre und das System, für das sie standen, zu vernichten. Entlang des Baumwollgürtels verkauften Pflanzer wie Jarvis Ledbetter ihre Anwesen an Bieter aus dem Osten und zahlten die Pächter, deren Lebensunterhalt von ihnen abhing, aus, damit sich das Land mit Gewinnträchtigerem als Baumwolle bepflanzen ließ. Letztlich konnte Mary ihnen das nicht verübeln. Es wurde immer schwerer, die alte Lebensart auf den Plantagen zu erhalten. Die ungünstige Witterung, die Wartungs- und Erhaltungskosten, die rückläufige Nachfrage, Schädlinge und das mangelnde Interesse der Erbengeneration, die ländliche
Tradition aufrechtzuerhalten – das alles waren Gründe, sich aus dem permanenten Kampf ums nackte Überleben zurückzuziehen.
Trotzdem spürte Mary, wie in ihr Ressentiments gegenüber dem krötenähnlichen Mann aufstiegen, der sie über seine aneinandergelegten Fingerspitzen hinweg mit seinen wässrig blauen Augen ansah. »Wenn Sie bereit wären, mir das Geld bis nach der Ernte zu stunden, würde ich Fair Acres auf jeden Fall kaufen«, erklärte sie.
Der weißhaarige Pflanzer schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, meine Liebe, aber ich kann nicht bis nach der Ernte warten, die hereinkommt oder auch nicht, wie wir alle aus leidvoller Erfahrung wissen. Ich verkaufe alles und gehe nach Europa, wo ich eine Weile in Paris leben will. Ich möchte ein bisschen von der Welt sehen, bevor ich sterbe. Und einen besseren Ausgangspunkt dafür als das Moulin Rouge kann ich mir nicht vorstellen. Ist Miles eigentlich noch in Paris?«
»Soweit wir wissen, ja. Mr Ledbetter …« Mary bekam einen trockenen Mund. »Wie viel genau wollen Sie für Fair Acres?«
Als er ihr den Betrag nannte, holte sie tief Luft: Er war deutlich geringer als erwartet. »Das ist ja … ausgesprochen moderat«, stotterte sie und begann, im Kopf die Zahlen zu überschlagen.
»Weitaus moderater, als ich bei den Leuten in Boston sein würde«, erklärte Jarvis mit funkelnden Augen.
»Warum machen Sie mir ein so großzügiges Angebot?«, fragte Mary misstrauisch. Sie hatte während des Essens fast mit Avancen des alten Mannes gerechnet.
Ihr Gastgeber holte seufzend eine Zigarre aus der Innentasche seiner schwarzen Wolljacke, biss die Spitze ab und betrachtete das Ende. »Vielleicht, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Wenn ich meinen Grund der Bank
verkaufe, öffne ich die Hintertür zu diesem Teil von Texas für diese Schakale. Und wenn ich es nicht tue, machen es meine Töchter und ihre nichtsnutzigen Ehemänner. Gebe ich dir die Chance, Fair Acres zu erwerben, trage ich dazu bei, die alte Lebensart zu bewahren. Und wenn irgendjemand es schaffen sollte, weiter hier zu bestehen, bist du es. Erben von deinem Kaliber gibt’s heutzutage nicht mehr, Mary. Du bist die Letzte deiner Art. Ich kann mich auch mit ein bisschen weniger zufriedengeben und damit glücklich sein. Außerdem …« Der Pflanzer zündete die Zigarre an. »… bist du wahrscheinlich nicht in der Lage, mehr zu zahlen.«
»Das stimmt«, bestätigte Mary, deutlich entspannter als zuvor. Er machte ihr ein Angebot, das sie einfach nicht ausschlagen durfte. Nie wieder würde sie den Grund so billig kaufen können, schon gar nicht, wenn die Bank of Boston ihn sich unter den Nagel riss. Also sagte sie: »Mr Ledbetter, ich denke,
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